Weh-Weh-Weh
Willis Wein Werkstatt
Künstler Kirchenstück 2009 GG
Verkostet im Mai 2011
Ich hatte es ja neulich schon irgendwo einmal behauptet Franz Künstler aus Hochheim hat sich 2009 nach Jahren
endlich wieder einmal selbst übertroffen. Aus dem erstklassigen Jahrgang wurden tolle Rieslinge gekeltert. Mir haben bei
einem Besuch vor Ort nicht alle gleich gut gefallen, die meisten waren aber schon bemerkenswert. Den Liter von 2009
hatte ich vor einigen Wochen bereits einmal auf der Hebebühne Klassesache, aber leider inzwischen ausverkauft. Mein
aktueller Preis-Leistungs-Renner ist ein Wein aus dem Mittelfeld, der Stielweg alte Reben. Saftig, cremig, tolle Fülle und
Länge. Eigentlich ein großes Gewächs, aber deutlich günstiger. Den Weiß Erd“ als kleinsten der großen Weine des
Gutes finde ich zum Beispiel nicht so gelungen wie die alten Reben aus dem Stielweg, obwohl er teurer und
anspruchsvoller daher kommt. Aber er ist mir zu sehr auf der erdig-mineralischen Schiene unterwegs, da fehlt die Frucht.
Wenn ich so etwas will, kriege ich in Rheinhessen das Original. Die Hölle hingegen überzeugt grundsätzlich wieder
einmal sehr, ist aber noch bei weitem nicht auf dem Punkt. Dieser Wein braucht ungemein Zeit und wirkt jetzt noch fast
ruppig. Mit anderen Worten: Der Charmebolzen des Weinguts, der Schmeichler, der Tänzer hat auch in diesem Jahr
wieder den Vogel abgeschossen und ist als erster Vertreter der Künstler-Chefetage auf Topniveau: Das große Gewächs
aus dem Kirchenstück!
Unglaublich frischfruchtige Nase, Zitrusaromen springen einen regelrecht an, leicht zitronig, daneben sehr reife Orange,
dazu aber auch ein gewisser exotischer Einschlag, fast so etwas wie Mango. Noch ein klein wenig wachsig wirkt er beim
allerersten Inhalieren, eben ein junger, großer Riesling. Mit mehr Luft wird er immer intensiver.
Schluss mit den Atemübungen, ans Zäpfchen und unter die Zunge mit dem Burschen! Dort präsentiert er sich als
Kirchenstück reinsten Wassers. Oder muss man in diesem Fall reinsten Weines“ sagen? Jedenfalls spielt er mit den
Geschmacksknospen, unglaublich fein, elegant, mit voller Frucht im Anklang, die aber nicht erdrückt, sondern tänzelt,
cremig. Da steht viel Saft, und eine wunderschöne Fruchtsüße in diesem analytisch trockenen Wein. Auch eine ganz
feine Säure bringt er mit, die perfekt mit der Süße und einem dezenten mineralischen Unterton harmoniert.. Er wirkt gar
nicht so druckvoll wie er in Wahrheit ist. Dass er mehr zu den heimlichen Kraftprotzen gehört, wird insbesondere im
Anklang deutlich, wo er direkt eine enorme Präsenz entfaltet. Und im Abgang, der herrlich lang und vielschichtig ist. Zu
diesem Tröpfchen kommt mir die Vokabel reich“ nicht recht aus dem Sinn. Er schmeichelt, umarmt mit Überschwang und
schmeißt sich in all seiner Opulenz regelrecht an die Leber heran. So präsent und reif er jetzt schon wirkt man täuscht
sich da leicht. Die Kirchenstücke sind erfahrungsgemäß sehr haltbar, die 1993er und 1998er haben es vorgemacht. Die
hatten sich in ihrer Jugend ganz ähnlich präsentiert und sich dann noch etwa 10 Jahre lang bestens entwickelt. Aber
ganz genau weiß man das nie. Wenn es am Kirchenstück aus 2009 überhaupt etwas zu kritisieren gibt, dann dass er
manchmal fast zu gefällig und zu rund wirkt. Vielleicht ein ganz kleines Haucherl oberflächlich? Schwer zu sagen. Fünf
Jahre in den Keller damit und dann auf Wiedervorlage. Wenn es jemand unbedingt genau wissen muss. Wie ich zum
Beispiel. Heute gibt es jedenfalls 92 von 100 Willipunkten.
Heute auf der Hebebühne: Künstler Kirchenstück 2009 GG