Weh-Weh-Weh
Willis Hausbesuche
F. E. Trimbach
So langsam erreicht der Wahlkrampf seinen Höhepunkt. Für den Problempeer wird es immer schwieriger, noch
glaubwürdig zu vermitteln, dass es für ein rot-grünes Bündnis reichen wird. Weil die bösen Umfragen für die
Roten und die Grünen zusammen derzeit noch immer nur so zwischen 36 und 40 Prozent veranschlagen. Also
hagelt es Durchhalteparolen aus dem Oppositionsführerbunker. Man fühlt sich an die Kohl-Rhetorik aus dem Jahr
1998 erinnert, wo der Oggersheimer immer wieder erklärte, die Leute würden ihn am Ende ganz sicher wählen, es
gäbe noch so viele Unentschiedene und der Aufschwung gewinne jetzt an Breite und Dynamik, das werde man
der Union dann schon noch danken. Wobei "Aufschwung" bei ihm ja immer eher klang wie "Aufswung". Und
überhaupt erinnerte das mit dem Aufschwung irgendwie ans Reckturnen. Wahrscheinlich hat er deswegen die
Wahl verloren, der dicke Helmut. Die Leute hatten Angst, dass er sie wieder in die Turnstunde schicken könnte.
Wer kein frühkindliches Trauma aus dem Geräteturnen mitbringt, der werfe den ersten Schlagball.
Die Grünen sind da viel cooler. Da gibt es keine Durchhalteparolen, da kriegt der Wähler direkt auf die Fresse.
Oder, besser gesagt, aufs Fresserchen. Sie schlagen einen Veggie-Day vor. Wobei der, je nach grüner
Fremdsprachenkompetenz onomatopoetisch auch schon mal "Vetschie-Day" heißt. Oder "Weckie-Day", zum
Beispiel bei der Spitzenkandidatin Göring-Eckart, deren ostzonale Herkunft uns die Defizite im Englischen zwar
verzeihen lassen könnte, jedoch bleibt insgesamt die Frage, warum man nicht lieber vom Gemüsetag spricht, wenn
man schon kein Englisch kann.
Und überhaupt - einen Tag pro Woche soll es in Kantinen und Casinos kein Fleisch geben? Verpflichtend? Doch,
doch, meinen die Grünen. Dafür gebe es gute Gründe, denn ökologisch sei es gar nicht gut, wenn so viel Fleisch
und Fisch produziert werde. Außerdem sei eine vegetarische Ernährung viel gesünder. Mag ja alles stimmen. Aber
wieso meinen diese Grünen eigentlich, dass man immer gleich mit Verboten arbeiten müsse? Warum reicht es
nicht, wenn man für eine gesündere Ernährung wirbt? Und Förderprogramme auflegt, in den man an den Schulen
noch mehr über gesunde Ernährung aufklärt oder Kantinen unterstützt, prämiert, auszeichnet, die besonders
gesund kochen? Muss immer gleich die Verbotskeule geschwungen werden? Müssen die Grünen uns immer
wieder dazu zwingen, zu unserem eigenen Besten zu handeln? Und warum auf halber Strecke einhalten? Wieso
nur den Menschen den Fleischgenuss untersagen? Auch für die Löwen im Zoo wäre es ganz gut, wenn die einmal
die Woche auf Blumenkohl umstiegen! Und warum nicht auch gleich einen zuckerfreien Tag pro Woche
verordnen, Zucker ist nämlich auch ungesund. Ach ja, salzfrei! Salzfrei wäre auch ganz wichtig! Wir essen viel zu
viel Salz! Mindestens einen Tag die Woche sollte außerdem Alkoholverbot sein, Tabakverbot sowieso. Das Kiffen
bleibt natürlich erlaubt, man will ja die grüne Kernklientel nicht verprellen.
Überhaupt, wäre es nicht einfacher, wenn man den Menschen direkt vorgäbe, was sie wann in welchen Portionen
zu sich zu nehmen haben? Vielleicht indem man so eine Art Lebensmittelkarte einführte. Wobei dann natürlich
überwacht werden müsste, dass die Leute nicht anfangen, Schwarzhandel zu treiben. Da sollte wohl in jeder
Straße einer bestimmt werden, der das kontrolliert. Blockwart könnte der zum Beispiel heißen, das wäre doch ein
guter Titel.
Das Dumme ist nur, dass britische Wissenschaftler gerade in einer großen Studie herausbekommen haben, dass
Vegetarier zwar gesünder leben als Fleischfresser, Menschen, die nicht rein vegetarisch leben, sondern dazu auch
noch Fisch essen, wiederum aber deutlich gesünder seien als die reinen Vegetarier. Demnach wäre der Veggie
Day gesundheitsschädlich. Und müsste sofort verboten werden. Am besten von den Grünen, die haben das mit
den Verboten am besten drauf.
Was trinkt man nun aber zu dem Fisch? Na ja, die Elsasstour mit den Gierschlünden war noch nicht beendet, und
da haben wir uns gedacht, dass man zu so einem richtig guten Fisch schon sehr weit oben einsteigen sollte. Zum
Beispiel mit dem Clos Ste.-Hune, dem wohl größten Riesling, den das Elsass hervorbringt. Er stammt aus dem
Weingut der Trimbachs in Ribeauvillé. Ein großer Betrieb mit einem output schon in der Nähe einer
Genossenschaft. Dessen ungeachtet stimmt auch die Qualität, schon der gehobene Riesling "Cuvée Frederic
Emile" fällt ungeheuer kräftig, tiefgründig und langlebig aus. So legendäre Jahrgänge wie 1983 und 1989 konnten
über zwanzig Jahre mit Freude getrunken werden. Zudem haben die Trimbachs, das war viele Jahre fast so etwas
wie ein Alleinstellungsmerkmal im Elsass, ihre großen Rieslinge schon immer gnadenlos trocken ausgebaut. Ein,
zwei Gramm Restzucker reichten zumeist, auch in den Siebzigern und Achtzigern, wo die meisten elsässischen
Winzer der typisch verhaltenen Säure des Oberrheingrabens recht gerne kleine bis mittelgroße Zuckerschwänze
gegenüberstellt, so dass drei, vier Gramm Säure den vergeblichen Kampf mit acht bis zehn Gramm Restzucker
aufnehmen mussten. Nicht so bei den Trimbachs, die sehr "deutsche" Rieslinge auf die Flasche bringen, da muss
man sich nicht so umstellen.
Das Flaggschiff des Hauses ist und bleibt der Clos Ste.-Hune. Er stammt aus einem kleinen Weinberg unterhalb
des Wehrkirchleins von Hunawihr. Zu dem auch der Friedhof des Ortes gehört. So dass die von den wackeren
Trinkern im Laufe ihres Lebens aufgenommenen Mineralstoffe nach dem Tod dann unterirdisch gleich wieder in
den Weinberg und über die Reben in die nächste Flasche wandern können. Circle of Life...
Der Clos Ste.-Hune stand über Jahrzehnte sehr einsam an der Spitze der elsässischen Weinproduktion und
zählte auch weltweit zu den besten trockenen Rieslingen/Weißweinen überhaupt. Immer wieder ein Meisterwerk,
weil dieser Tropfen eine unglaubliche Tiefe mitbringt und dabei trotzdem so elegant und leicht wirkt. Außerdem ist
er ein Reifewunder. 25 Jahre Alterung sitzt er auf einer Backe ab, 10 Jahre braucht er eigentlich fast immer, um
sich voll zu entfalten, auch da sind wir bei trockenen Weißweinen schon in der absoluten Weltspitze. Jahrgänge
wie 1976, 1983, 1989, 1990 zählten und zählen noch immer zum Besten, was trockener Riesling je vollbracht hat.
Damals noch für etwa 50 bis 60 DM zu haben, waren das Zeiten. Heute gehen diese Jahrgänge für fast schon
vierstellige Summen über den Versteigerungstresen, bei den aktuellen Jahrgängen läuft unter 140 Euro gar nichts
mehr. Auch preislich liegt der Clos Ste.-Hune also in der Weltspitze, zumindest was trockene Rieslinge angeht.
Die Jahrgänge nach 2001 haben allerdings zum Teil deutlich schlechtere Kritiken erhalten, die Spitzenstellung des
Clos Ste.-Hune wird mehr und mehr in Frage gestellt. Vielleicht sind aber die Konkurrenten auch einfach nur
besser geworden? Schwer zu sagen, dem muss ich dann zu einem späteren Zeitpunkt nochmal nachgehen. Jetzt
geht es ja erst einmal darum, den richtigen Wein zum Fisch zu finden; einen, der sofort trinkbar ist, d.h.
mindestens zehn Jahre alt. Ist schließlich Donnerstag und damit Fishy-Day. Drei Clos Ste.-Hunes sind am Start,
der 1988er, der 1992er und der 2001er.
Den 1988er hat einer der Gierschlünde spendiert, der kam verdeckt auf
den Tisch. Wir wussten nicht einmal, dass wir einen Elsässer im Glas
hatten. Und es zeigte sich sofort, was dieser Wein kann, auch wenn
1988 jetzt beim Clos Ste.-Hune eher ein mittlerer Jahrgang war.
Niemand wäre auf die Idee gekommen, hier einen Wein vor sich zu
haben, der gerade seinen 25. Geburtstag zu feiern im Begriff ist. Das
wirkte schon in der Nase deutlich jünger, da waren lebendige
Kräuternoten wie bei einem vielleicht zehn Jahre alten Spitzenriesling
von der Ruwer zu finden, eine hochelegante Mineralität, durchaus auch
eine schöne reife aprikosige Frucht. Und null Petrol, null Firne, null
Überalterung. So präsentierte er sich auch am Gaumen; mineralisch,
kräutrig, sehr kräftig und vor allem wunderbar tief. Ein Wein, den man
schnell unterschätzt, auch weil er selbst in diesem hohen Alter noch
immer viel, viel Zeit in der Karaffe und im Glas benötigt, ehe er seine
ganze Klasse zeigen kann. Erst nach einer knappen Stunde offenbarte
er seine ganze Vielschichtigkeit und Fülle. Ein großes Weinerlebnis, 92
von 100 Willipunkten.
Ganz anders der 2001er, viel weniger kräutrig in der
Nase, eher mit Honig, Baumblüten und Zitrusfrüchten
unterwegs. Sehr reich, wunderbar fein ziseliert, verspielt.
Auch hier natürlich keinerlei Alterungs- oder auch nur
Reifeton. Aber die Kräuter, die kamen dann doch noch
heraus. Nach einer halben Stunde Belüftung wehte ein
kleines Kräuterfähnchen aus dem Glas, das Nasenbild
wurde immer komplexer. Am Gaumen im Anklang
zunächst vor allem mineralisch, dazu wieder die
Baumblüten aus der Nase, Linden oder so was, als
Botaniker bin ich ja eher ein Totalausfall. Wunderbar
trocken, tiefgründig, hier mit eher apfeliger als zitrussiger
Frucht am Start, sehr elegant, noch immer unglaublich
jung, nur im langen, feinen Abgang ist ein leicht
nussiger Ton wahrzunehmen, der ein wenig auf Reife
hindeuten könnte. Wirkt durch seine Eleganz viel
leichter als er ist. Erst zum Fisch merkt man dann, wie
viel Urgewalt da auf die Flasche gefüllt worden ist. 93
von 100 Willipunkten.
Zum Schluss der 1992er, krachende Mineralität in der Nase, kreidig wirkt das vor allem. Dazu eine unfassbare
Frucht, ein ganzes Orchester, ein Tusch Orange, dann tropisch-passionsfruchtig, etwas Aprikose ist auch mit drin.
Und natürlich auch hier wieder diese unglaublichen Kräuter und der Lindenblütenton. Was für ein Monument.
Sicher der beste der drei Jahrgänge, 1992 war bei den Trimbachs ganz groß. Aber so frisch und so kräftig, das ist
schon unglaublich. Auch am Gaumen faszinierend! Dass eine so opulente Nase zu einem derart trockenen Wein
gehören kann! Denn mehr als zwei Gramm Restzucker sind das sicher nicht, bei vermutlich auch nur zwei oder
drei Gramm Säure. Von wegen es brauche eine hohe Säure, damit Weine altern können. Der hier schafft das ganz
ohne. Einundzwanzig Kerzen stehen auf seinem Geburtstagskuchen und davon merkt man nichts. Klar ist er reif,
aber das ist kein Petrol, keine Firne, einfach nur kreidige, granitige, steinmehlige Mineralik und dann diese
unglaubliche Frucht. Gut, mit mehr Luft kommt nach etwa einer halben Stunde ein ganz zarter oxidativer Ton
hinzu, nicht in der Nase, nur am Gaumen, aber der ergänzt die anderen Aromen nur, ist ein zusätzliches Element,
das weder Frucht noch Mineralik verdrängen kann. So etwas wie eine sehr reife Zitrone, ein Hauch Mandel, auch
eine leicht angetoastete Haselnuss, herrlich! Dieser Wein steht voll auf dem Punkt und ist länger als einem der
Sonntagsgottesdienst zu Ostern in der ARD vorkommt. Da hat der Papst schon längst in gefühlt achthundert
Sprachen gesegnet und der Clos Ste.-Hune krallt sich immer noch am Zäpfchen fest. Und dabei doch so gradlinig,
so dicht und so strahlend. Besser geht trockener Riesling kaum! 100 von 100 Willipunkten für die Nase, 99 von
100 Willipunkten für das Gesamtwerk!
So endet eine versoffene Reise durch das Elsass. Neben den Weingütern, die wir besucht haben und über die ich
hier berichtet habe, konnten wir über die Weinbegleitung bei den abendlichen Schlemmerorgien auch zahlreiche
andere Erzeuger testen, die Domaine Weinbach oder Andre Kientzler, Zind-Humbrecht oder Muré. Bilanzierend
bleibt festzuhalten, dass sich die Weinlandschaft zwischen Colmar und Strasbourg in den vergangenen zehn
Jahren sehr gründlich geändert hat. Zumindest bei den Spitzenerzeugern gibt es das oberrheinische
Zuckerschwänzchen, das früher eigentlich alle außer Trimbach und Beyer im Gepäck hatten, fast gar nicht mehr.
Deiss ist hier die einzige Ausnahme, wohl dem gemischten Satz geschuldet. Die Qualität ist gewaltig nach oben
geschossen, mindestens zehn Winzer bringen inzwischen trockene Spitzenrieslinge von Weltformat auf die
Flasche. Die Preise haben sich entsprechend entwickelt, allerdings waren die Steigerungen nicht so eklatant wie
in Deutschland. Während das Preis-Leistungs-Verhältnis in der Spitze früher eher schlechter war als in
Deutschland, schenkt man sich heute nichts mehr. Mehr denn je lohnt sich eine Weinreise in diesen
wunderschönen Landstrich, der zudem über eine Dichte an exzellenten Lokalen verfügt, wie man sie kaum
irgendwo anders finden kann.