Weh-Weh-Weh
Willis Wein Werkstatt
F.X.Pichler Dürnsteiner Kellerberg,
Riesling Smaragd 2007
Verkostet im Juli 2011
Was war das früher einfach. Wein galt als eines der hochstehendsten Kulturgüter, nur die jeweils entwickeltsten
Gemeinwesen waren in der Lage, exzellente Qualitäten zu produzieren. Angefangen vom Falerner Roms und den
dionysischen Tropfen des antiken Griechenlands hoffentlich damals noch ohne Retsinaharz. Dann mit Glockenschlag
1855 auf alle Ewigkeiten amtlich klassifiziert die Bordeaux der Grande Nation, die natürlich auch für sich reklamiert, den
Schaumwein erfunden zu haben. Noch etwas später begann die große Zeit der deutschen Rieslinge, die zum Anfang
des 20. Jahrhunderts die teuersten Tropfen der Welt waren. Mit dem Vorstoß der USA zur Großmacht folgten Napa Willi
und Sonoma Willi auf dem Fuße.
Das war früher. Heute sind die Griechen knietief in der Pleite, die Italiener stehen kurz davor, den USA droht die
Zahlungsunfähigkeit und auch bei uns scheint mit der Talfahrt des Euro eine neue Krise im Anzug und zwar im
dreiknöpfigen Hosenanzug. Logische Folge: Die Herstellung hochwertiger Weine ist nicht länger auf die westlichen
Industrieländer beschränkt. Die Schwellen- und Entwicklungsländer holen mächtig auf. Südafrika produziert herrliche
Pinotages und Cabernets, aus dem Libanon bringt Château Musar langlebige Tropfen ganz eigener Art auf den Markt,
Laos füllt einige Tröpfchen ab, deren Blume erstaunlich an das Aroma von Nagellackentferner erinnert, China steuert
den Red Dragon und die edleren Weine einiger interessanter französisch-chinesischer Joint-Ventures bei. In Chile und
Argentinien haben sich die Rothschilds eingekauft, in der Slowakei unser Egon Müller, auch Kosovo, Ukraine und
Molwanien legen zu. Da wundert es nicht mehr, dass selbst der Österreicher mittlerweile in der Lage ist, ganz akzeptable
Weine auf die Flasche zu bringen. Ja,genau der Österreicher, der in allen anderen Disziplinen derartig hinter dem Berg
lebt, dass er sich - zum Beispiel - heute noch über ein Fußballspiel freuen muss, das schon dreiunddreißig Jahre
zurückliegt.
Na höaaast, wird der geneigte Leser einwenden, der Österreicher kann doch Wein. Der Österreicher war doch in den
Disziplinen Grüner Veltliner, Roter Veltliner und Glykol-Beerenauslese immer schon ganz weit vorn. Stimmt auffallend!
Inzwischen aber, und das dürfte schlimmer werden als Cordoba, füllt der Österreicher in der Wachau einige Rieslinge
ab, die unseren heimischen Rieslingen durchaus erfolgreicher ans Leder gehen könnten als die fußkranke Constantini-
Truppe den deutschen Kickern. Zumal unsere deutsche Mannschaft, jetzt, wo die Spieler aus dem Osten langsam
wieder aussortiert werden (Beckenbauer), auf Jahre hin unbesiegbar sein dürfte.
Aber zurück zum Alpen-Riesling. Den wahrscheinlich besten produziert ein Mann mit dem verheißungsvollen Namen
Pichler. Und zwar F.X. Pichler, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Rudi, der auch ganz feine Sachen abfüllt.
Gleich zwei Rieslinggranaten hat F.X. am Start, den Unendlich“ und den Kellerberg“. Der Unendlich gilt als das
Flaggschiff, des Guts, kostet auch deutlich mehr als der Kellerberg. Mir ist dennoch der Kleine“, der Kellerberg der
liebere Wein. Weil der Unendlich oft ein wenig überkonzentriert und protzig daherkommt. Cayennefahrerwein eben.
Oder Rolexträgerwein. Während der Kellerberg Stil hat, Finesse, Eleganz und dabei zugleich eine unglaubliche
unterschwellige Kraft.
Also gibt es heute mal den Kellerberg. Und zwar aus 2007, in der Wachau ein ebenso exzellentes Jahr wie bei uns.
Prachtvolle, überbordende Rieslingnase, viel Pfirsich, Kräuterwürze, leicht waldmeistrig, dann so etwas wie zerriebener
Stein, mineralisch, etwas granitig. Mit mehr Luft kommt auch ein Agrumes-Einschlag hinzu, riecht vor allem nach rosa
Grapefruit.
Am Gaumen auch erst dieser Fruchtzweiklang aus Pfirsich und der rosa Grapefruit letztere hier etwas verhaltener und
recht fruchtsüßlich, vollreif. Dazu gesellen sich exotische Noten, Mango? Nein, das trifft es nicht ganz. Vielleicht ein
Spritzerchen Passionsfrucht, das aber von diesen an beste Ruwerweine erinnernden Kräutertönen umarmt wird. Das
Mineralische scheint gegenüber der Frucht ein wenig im Hintertreffen. Doch das täuscht. Wenn man tief genug in den
Wein hineinschmeckt, spürt man das massive mineralische Gerüst, das ihn stützt und strukturiert. Das sind
Stahlbetonträger! Die tief ins Fundament hineinreichen. Und dieser Wein ist unglaublich tiefgründig und von einer schier
unendlichen Vielschichtigkeit. Ein echtes Kunststück, diese Eleganz und zugleich einen so hemmungslosen Druck unter
einen Hut oder besser unter einen Korken zu bringen.
Ewige Länge, monumental. Hohes Suchtpotenzial, auch wenn einen dieser Pichler gerade nicht zu einem solchen
macht. Den Stoff lässt man nicht in großen Schlucken über den Knorpel, der nimmt man ganz vorsichtig und
tröpfchenweise an den Gaumen.
Mit Luft legt er immer weiter zu. Wirkt noch ungemein jung, was hat der nur für ein Alterungspotenzial! Mindestens 15
Jahre gebe ich ihm. Nichts für den Porschefahrer, dieser Wein hat die klassische Schönheit eines Jaguar E-Typs.
Allerdings schon der Zwölfzylinder! 97+ von 100 Willipunkten.
"Da kommt Pichler - Toor!! Toor!! Toor!! Toor!! Toor!! Tor! I werd narrisch!! Pichler schießt ein! Dreizuzwei für
Österreich."
"Aus, aus, aus, der Wein ist aus“
Heute auf der Hebebühne: F.X.Pichler Dürnsteiner Kellerberg, Riesling Smaragd 2007