Weh-Weh-Weh
Willis Hausbesuche
Kinkelstuben
Ein Freund aus dem Finanzministerium klagt mir sein Leid. Er arbeitet dort in der Umsatzsteuerabteilung. Da
sitzen die Leute, die sich das ganze Jahr lang Gedanken darüber machen, ob man Esel und Maulesel nicht mit
unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen belegen soll, einfach nur damit die Steuerfachliteratur eine originelle
Anekdote zu erzählen hat. Was dem EU-Kommissar die genormte Gurkenkrümmung und der standardisierte
Traktorsitz ist dem Finanzminister das Chaos in der Mehrwertsteuer. Da kommt dann der Maulesel deutlich billiger
als der normale Esel. Weil ja nur Luxusgüter den vollen Mehrwertsteuersatz kosten sollen und Güter des täglichen
Gebrauchs reduziert besteuert werden sollen. Und wer von uns gebrauchte nicht täglich seinen Maulesel - in
ländlichen Regionen ist sogar von Missbrauch zu hören - während der Esel nur an hohen Feiertagen bestiegen
wird! Das ist ganz ähnlich wie mit den Gewürzkräutern. Die braucht man täglich, also reduzierter Satz. Sind sie
allerdings schon zu einer Gewürzmischung verarbeitet, isses Luxus, also wird der volle Mehrwertsteuersatz
verlangt. Eine Logik die sich weitab der Realitäten unser Fast-Food-Küchenkultur bewegen dürfte.
Tja, da sitzt er nun also mein Freund und rauft sich ob dieses Wahnsinns so die Haare, dass er an guten Tagen
aussieht wie Einstein, an schlechten eher wie Meister Proper. Außerdem muss er einmal im Monat mit zum
"Umsatzsteuerkegeln", jedenfalls wenn er sich nicht ausgrenzen will. Denn da geht die Abteilung geschlossen hin.
Vielleicht um sich daran zu freuen, dass man im Jahr 2000 im Zuge der Harmonisierung der Besteuerung von
Sportanlagen die für Kegelbahnen bis dahin geltende Umsatzsteuerbefreiung aufgehoben hat. Eine Großtat, an
die sich die Abteilung noch heute in jährlichen Gedenkfeiern mit Tränen in den Augen erinnert.
Also kegelt er, mein Freund, wacker und umsatzsteuerpflichtig, denn sonst leidet die Karriere am Ende noch.
Eigentlich kenne ich solche Spießigkeit sonst nur noch aus den Erzählungen meines Großvaters, der in den
Fünfzigern - glaubte man seinen verklärten Erinnerungen dreißig Jahre danach - als Amtsrat praktisch im
Alleingang die Wiederbewaffnung nach dem Krieg durchgesetzt und das Verteidigungsministerium aufgebaut hat.
Ihm oblag auch die Organisation der alljährlichen Karnevalsveranstaltung des Hauses, an der teilzunehmen für die
Verteidiger mindestens so wichtig gewesen sein dürfte wie für die Finanzer der acte de presence beim heutigen
Umsatzsteuerkegeln. Es wurden anlässlich dieser Karnevalpartys, das war in zahlreichen, von meinem Großvater
archivierten "Programmen" säuberlichst dokumentiert, in jedem Jahr die selben humorfreien Witze erzählt und
dieselben zotigen Sketche aufgeführt. Auch war der Ablauf der Veranstaltung strenger reglementiert als heute die
Gurkenkrümmung - so dass die Verhinderung von Spontaneität und Ausgelassenheit absolut sicher gestellt war.
Insofern war mein Opa wohl ein würdiger Urvater des Kölner Fernsehsitzungskarnevals.
Hmm, da isses wieder mit mir durchgegangen - man erzählt harmlos vom Finanzministerium und
hastenichgesehen ist man beim Sitzungskarneval angekommen. Die Übergänge zwischen Politik und Karneval
verschwimmen aber auch immer mehr, siehe "Rentenreform". Na gut, es mag vielleicht mit daran liegen, dass die
beste Igelin von allen und ich gestern bei der Stunksitzung in Köln waren. Alternativer Karneval, gaaaanz
gefährlich. Arnarchisch-klamaukig verhohnepiepelt man dort die Rituale des klassischen Karnevals, außerdem gibts
Comedy und zwischenrein immer wieder von der hauseigenen Combo Köbes Underground nett auf Köln
umgetextete Pop/Rocksongs aus den Top Ten des letzten Jahres. Sehr lustig, eine Aufzeichnung läuft auch
jedes Jahr am Weiberfastnachtsabend im WDR-Fernsehprogramm. Wobei die Etablierten im Kölner Karneval die
Stunksitzung natürlich ganz furchtbar finden, zumal die auch noch einen Riesenerfolg hat. Es musste sogar
schon der Chef des Festkomitees zurücktreten, weil er dabei erwischt wurde, dass er auf einer Stunksitzung im
Publikum zu Gast gewesen war. War Karneval nicht mal das Ventil, mit dem man sich satirisch über die Obrigkeit
lustig machte? Drollig, dass es jetzt eine eigene Karnevalsobrigkeit gibt und man sich über die nicht lustig machen
darf. Putin, Janukowitsch und Lukaschenko sind nix gegen den Sitzungskarneval. Wird Zeit für Tussi Riot gegen
das Festkomitee anzugehen, zumindest mal an Weiberfastnacht.
Mitglied der Prinzengarde Oberkassel
Zum Glück gibt es im Rheinland aber noch ein paar Orte, wo man als Weintrinker den humoristischen
Rohrkrepierern aus der kölschseligen Pointenflak entgehen kann, wo die Karawane nicht weiterzieht und der Dom
auch nicht in Kölle gelassen wird, sondern in Perignon. Denn da und nur da gehört er hin. In den Kinkelstuben in
Bonn-Oberkassel zum Beispiel könnte man den Karneval lässig aussitzen, ohne auch nur ein einziges dieser
verstrahlten Mottolieder der Höhner oder anderer humorterroristischer Vereinigungen über sich ergehen lassen
zu müssen. Fehlt nur noch eine durchgestrichene Narrenkappe an der Tür, mit einem kleinen Hinweis "wir müssen
leider draußen bleiben".
Kinkelstuben in Bonn - im Sommer kann man auch auf der Terrasse sitzen
Drinnen herrscht Ruhe - wunderbare Ruhe! Herr Schrempp, seit vielen Jahren Inhaber dieses oenologischen
Kleinods, reicht dem Stammkunden zunächst mit einem freundlichen Gruß die Hand über die Theke und bringt
danach unaufgefordert und fast wortlos die telefonbuchdicke Weinkarte an den Tisch. Nun heißt es für den
Weinigel die Stacheln anlegen, Lesebrille aufsetzen, es beginnt die Zeit der inneren Einkehr und Reflexion. Lieber
nur ein Gläschen von der Karte der etwa 25 offenen Weine? Oder gleich eine Flasche? Trocken, halbtrocken,
fruchtig? Fünf, zehn, zwanzig, achtzig Jahre alt? Die Karte hat das alles in Hülle und Fülle zu bieten. Nirgendwo
sonst habe ich eine so große Auswahl deutscher Weine von Spitzenbetrieben gesehen. An die tausend
Positionen sollten es sein. Nur Anfänger werden den Wirt zu fragen wagen, ob die vielen betagten Weine denn
tatsächlich alle "noch gut" seien. Da zeigt sich dann gerne mal eine Zehntelsekunde lang, dass Herr Schrempp
irgendwann, so etwa im mittleren Pleistozän muss es gewesen sein, wohl mal an der Wiener Qualtinger-Akademie
einen Grundkurs im Granteln belegt haben mag: "Sonst stünden sie ja nicht auf meiner Karte", kommt nusstrocken
und mit kurzem Abgang die mit todernster Mine abgefeuerte Antwort. Stimmt! Die vielen Rieslinge, die aus den
Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern verfügbar sind, vor allem von der Mosel und aus dem Rheingau, sind so
perfekt ausgesucht, dass sie keine Anzeichen von Müdigkeit erkennen lassen. Wer richtig auf die Pauke hauen
will, lässt sich entweder einen Steinberger aus den dreißiger Jahren kommen, oder die Sonderkarte mit Weinen
von Egon Müller. Die meisten sind Versteigerungsweine und stammen aus der alljährlichen Trierer Auktion. Die
Preise machen Freude, viel fairer kann man nicht kalkulieren!
Damit man den Alkohol nicht immer so trocken runterwürgen muss, hat Herr Schrempp irgendwann geheiratet und
seine Frau in die Küche der Kinkelstuben gestellt. Dort zaubert Bärbel Schrempp zahlreiche wunderbare kleine
Köstlichkeiten, die allen schon den Weg in die Oberkasseler Kinkelstraße rechtfertigten. Ihre Philosophie ist
einfach: kleine Karte, dafür alles frisch gemacht und häufig wechselnde saisonale Spezialitäten. Ich schwärme vor
allem von ihren köstlichen Eisparfaits und der Apfeltarte, komme aber auch kaum einmal an den frischen
Gartensalaten vorbei, die es zum Beispiel mit Roastbeef oder hauchdünn geschnittenem Bündnerfleisch gibt. Mit
Ziegenkäse überbackene Birnen, köstliche Suppen und herrliches Quiches runden das Programm ab.
Der Käsewagen - so etwa muss es im Igelhimmel aussehen!
Irgendwann kam die Frauenbewegung und damit war klar, Herr Schrempp konnte die Verantwortung für die feste
Nahrung nicht mehr länger alleine seiner Frau aufbürden. Also gibts in den Kinkelstuben nun auch phantastische
Rohmilchkäse, die vom Chef persönlich per Käsewagen an den Tisch gefahren und ganz nach Wunsch und
Geschmack des Gastes zu einem persönlichen Käseteller zusammengestellt werden. Auch hier wird nur der
Anfänger fragen, welche der Käse denn voll auf dem Punkt seien. Da käme sofort wieder der Qualtinger-Absolvent
durch, "selbstverständlich alle, sonst würde ich sie Ihnen ja nicht anbieten". Stimmt! Trotz der großen Auswahl auf
dem Wagen sind die Käse tatsächlich alle voll auf dem Punkt. Immer! Heute beginnt das in Deutschland, na, sicher
noch nicht Standard zu werden, aber vielleicht ist es nicht mehr eine so ganz außergewöhnliche Sensation wie
noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Dennoch scheint mir der Käsewagen im Hause Schrempp noch immer den
meisten Käsesortimenten unserer deutschen Sternelokale weit überlegen zu sein. Wieder ein Element der
magischen Kinkelformel, für das alleine sich die Reise auf die schäl Sick lohnte. Vaut le voyage schreibt der Guide
Michelin bei seinen besten Adressen gerne. Für die Kinkelstuben gilt das ganz uneingeschränkt! In der
Weinstubenwertung sind das glatte 100 von 100 Willipunkten!