Weh-Weh-Weh
Willis Wein Werkstatt
Kehrwoche im Erdener Treppchen
Verkostet im Januar 2012
Nee, nee, nee, wie ist dieses Jahr 2011 nur zuende gegangen? Der Freiherr zu Guttenberg feiert sein Comeback, jetzt
ohne Gel, dafür vorerst gescheitelt. Rufschädigung in eigener Sache reloaded. Auch die FDP arbeitet an ihrem Image.
Die haben offensichtlich Simmel gelesen und das auch gleich zur Grundlage ihrer Personalpolitik gemacht: Erst kamen
die Clowns, dann kamen die Tränen. Der Herr Döring ist noch gar nicht im Amt, da beleidigt er Respekt schon seinen
Parteivorsitzenden. Oder "Parteifurzenden", wie das in Brüderle-Schnellsprech neuerdings heißt. Und der Brüderle, das
spatzen ja die FDP-Pfeifen von den Dächern, der wird dann der nächste Furzende sein, wenn nach den Tränen wieder
die Clowns drankommen.
In der Privatwirtschaft läuft es allerdings auch nicht runder als in der Politik. Die Firma pip zum Beispiel hat in ihre
Brustimplantate nicht etwa das gute Brustsilikon eingefüllt, sondern das deutlich günstigere Sanitär-Dichtungssilikon.
Vielleicht gar kein Fehler. Denn aus meiner Sicht sind die Frauen, die sich die Brüste aufpumpen lassen, sowieso nicht
ganz dicht. Da könnte das Silikon ja sogar helfen. Und auch andere haben 2011 saftig über die Stränge geschlagen.
Die Versicherungsbranche zum Beispiel noch gar nicht so lange her, dass es Gezeter gab, weil die Hamburg-
Mannheimer mit Parisern nach Budapest reiste. Jetzt ist eine andere bekannte Firma ins Wüstenrotlichtmilieu
aufgebrochen. Vielleicht treffen sie dort den Alfons Schuhbeck. Der prostituiert sich neuerdings nämlich ebenfalls.
Allerdings nicht für eine Versicherung, sondern für McDonalds. Klingt jetzt auch nicht plausibler als die Behauptung, die
katholische Kirche gebe Pornos heraus. Obwohl, da ist mein Weltbild etwas durcheinander gekommen, das ist vielleicht
ein schlechtes Beispiel. Also sagen wir lieber, es klingt auch nicht plausibler als die Behauptung, der Papst habe eine
Abtreibungsklinik aufgemacht. Trotzdem macht der Alfons lustig Werbung für die Pappendeckelbrötchen vom Schotten.
Vielleicht "kocht" er demnächst ja mal ein paar davon bei Lanz? Fehlt nur noch, dass der Egon Müller Werbung für
Rotkäppchen macht.
Nein, die Welt ist aus den Fugen, Ihr könnt sagen was Ihr wollt. Halt geben da nur noch einige wenige Traditionen und
Gebräuche. Die gute alte Kehrwoche im Schwäbischen zum Beispiel. Kennt das noch jemand? In Mehrfamilienhäusern
ist jede Woche eine andere Partei mit der Reinigung des Treppenhauses dran. Wer versucht, sich mit einem "I dont kehr"
aus der Affäre zu ziehen, wird standrechtlich erschossen. Nur wer einmal Zeuge war, mit welcher Aufmerksamkeit die
anderen Parteien jeweils kontrollieren, ob erstens überhaupt und zweitens gründlich genug geputzt worden ist, der hat
eine ungefähre Vorstellung davon, wie die Nationalsozialisten seinerzeit die Blockwarte rekrutiert haben. Diese Woche
war ich dran mit der Kehrwoche. Das Erdener Treppchen musste mal richtig durchgefegt werden. Und das ist ganz schön
viel Arbeit. Denn das Treppchen weist über 50 Prozent Steigung auf. Weswegen auch so viele Treppen in den Weinberg
geschlagen worden sind. Daher auch der Lagenname. Ansonsten: Viel Schiefer, viel Sonne, das macht in der Summe
richtig viel Potenzial für sehr großen Riesling. Zumal mit Kees-Kieren und Christoffel auch zwei Spitzenwinzer Parzellen in
den Filetstücken haben.
Den Anfang meiner Kehrwoche machte aber die restsüße Riesling-Goldkapselauslese aus dem Treppchen, die der
Meulenhof 1996 abgefüllt hat. Ein guter Erzeuger aus der zweiten Reihe, immerhin. Versteigert in Bernkastel 1997.
Sehr gereifte Nase, Quitte, Honig, leicht botrytischer Einschlag, auch eine dezente Spur von Kaffee, etwas oxidierter
Apfel. Am Gaumen viel Karamellapfel, kandierte Aprikose, etwas Rosine, sogar ein gewisser Mandelton. Später kommt
noch eine fast schon ruwerige Kräuterwürze hinzu. Etwas botrytischer Honig auch hier, leider nicht sehr konzentriert
und mit einem kleinen Loch im Abgang unterwegs, wo er außerdem ein wenig verflacht. Für eine Goldkapselauslese
eigentlich zu wenig, wenngleich ein charmanter Wein, der jetzt ziemlich gut auf dem Punkt ist, vor ein bis zwei Jahren
vielleicht auch noch eine Spur besser gewesen sein könnte. Aber mit Luft wird er noch deutlich voller. Jetzt wird die
Sache harmonischer, das Schlagloch im Abgang füllt sich so langsam. Damit kommt der Wein insgesamt deutlich
harmonischer und eleganter über den Gaumen. Vor allem die Kräuter werden üppiger und ausdrucksvoller, ein richtiges
kleines Waldmeistersträußchen hat er plötzlich in der Hand. Dazu gesellen sich typische Rieslingtertiäraromen, wie man
sie bei reifer Botrytis häufiger einmal antrifft, das geht so richtig ins Tabakige, und zwar krümeliger Tabak einer alten
Zigarre, garniert mit einem Anflug kalten Rauchs. Viel länger als eine Stunde dauert die positive Entwicklung nicht, dann
kippt der Wein mehr und mehr in diese Tabakaromatik ab und wird wieder unfreundlicher. Trinken! 87 von 100
Willipunkten.
Nun heißt es ja aber Kehrwoche und nicht Kehrabend. Und wer kommt schon eine ganze Woche mit einer einzigen
Flasche hin? Also geselle ich noch einen zweiten Erdener Riesling hinzu, die 1996er Spätlese* restsüß aus dem
Treppchen von Kees-Kieren. Auch dieser Wein stammt aus der 1997er Versteigerung in Bernkastel.
Wie beim Meulenhof ist die Nase auch beim Kees-Kieren schon ein wenig mit Reife tönen unterwegs, etwas Karamell,
konfitierte Aprikosen, ganz leichter Anflug von frischer Zigarre, dazu auch hier ein leichter Kräuterton. Sehr filigran und
fein, das Ganze. Gereifte Mosel in Bestform! Davon inhaliere ich kein kleines Schnupperchen, sondern gleich einige
Cyranozinken voll.
Mit Luft und ein, zwei Grad mehr Temperatur entfaltet sich diese elegante Nase noch weiter, der Reifeton tritt in den
Hintergrund, die Aprikose wird voller, irgendwie auch jugendlicher. Der Karamell mutiert unterdessen so langsam zum
Mandelkrokant.
Am Gaumen schöne pikante Kräuterwürze. Galiamelone, dazu auch hier die volle Aprikose aus der Nase. Gerade
richtig dosiert der Reifeton, ein klein wenig rosinig tritt er auf, wie diese extragroßen, nicht ganz so eingetrockneten
gelben Rosinen, die man beim Türken manchmal bekommt. Kein echtes Petrol, nur ein Hauch von Firne, der Wein
scheint mir fast noch voll aus dem Höhepunkt. Nach dem Anklang ist auch hier zwar ein kleines Loch wahrzunehmen,
ein Durchhängerlein. Doch im Abgang zeigt er sich dann wieder sehr stabil, die Süße kommt da wunderbar verkräutert
und verhalten zum Ausdruck. Cremig, eine Spur honiglich, leicht und dennoch gaumenfüllend. Tapeziert den Mund
geradezu aus! Vielleicht ist die kleine Schwäche zwischendrin eher dem mittleren Jahrgang geschuldet als einer
vermeintlichen Überlagerung? Denn ansonsten könnte er hinten heraus nicht so frei von Müdigkeit sein. Da ist auch
nach Stunden keinerlei "Auslassen", keine Schwäche zu beobachten. Diese Spätlese fügt sich perfekt in die Reihe vieler
1996er Spätlesen und Auslesen des Weingutes, die ich in der Weinstube meines Vertrauens in den letzten Jahren
probieren konnte. 1996 war ein Kees-Kieren-Jahr! Die Goldkapselauslese des Meulenhof lässt dieser Wein jedenfalls
weit hinter sich. 91 bis 92 von 100 Willipunkten! So einen flotten Feger kann man in der Kehrwoche gut gebrauchen!
Heute auf der Hebebühne: Kehrwoche im Erdener Treppchen