Weh-Weh-Weh
Willis Wein Werkstatt
Domdechant Werner Hochheimer Kirchenstück, Riesling
Erstes Gewächs 2009, Rheingau
Verkostet im Juni 2012
Was ist eigentlich ein Domdechant und was tut der so den ganzen Tag? Wenn ich nicht so ein ungläubiger Willhelm
wäre, wüsste ich es vielleicht. Im schönen Rheingau, in Hochheim gibt es zwar keinen Dom, wohl aber eine Weinlage
Domdechaney und ein Weingut Domdechant Werner. Also scheint so ein Domdechant vor allem zu winzern. Oder zu
trinken, was weiß ich! Das führt gleich zur nächsten Frage: Wie mache ich das nur, mir jetzt bis zum Ende dieses
launigen kleinen Beitrags die Frage zu verkneifen, die in mir auf der Kalauer liegt - ob man nämlich die Wernerschen
Weine in eine Karaffe dechantieren muss. Nee, aber der wäre dann doch zu platt, oder?
Also reden wir ernsthaft über das Weingut. Dessen Lage ist schon einmal traumhaft. Direkt über den Hochheimer
Weinbergen. Von der Terrasse kann der Herr Dechant zwanglos in die eigenen Rebzeilen hineinspazieren, die Trauben
streicheln und sich auf den nächsten Jahrgang freuen. Seine besten Parzellen liegen in den Hochheimer Paradelagen,
in der Hölle und im Kirchenstück, in der Domdechaney und im Stielweg. Klangvolle Namen, das sind genau die
Wingerte, aus denen der Mitbewerber Franz Künstler seit vielen Jahren immer wieder mit die besten trockenen Rieslinge
Deutschlands auf die Flasche bringt.
Dementsprechend gehörte auch das Wernersche Weingut vor dreißig, vierzig Jahren in die Spitze des Rheingaus. Wer
das Glück hat, mal den einen oder anderen gereiften Restsüßen des Hauses aus den Sechzigern oder Siebzigern ins
Glas zu bekommen, wird das nachvollziehen können. Nach dieser glorreichen Zeit kam eine etwas weniger
überzeugende Phase. Den Weinen aus den Achtzigern und vor allem aus den Neunzigern fehlte es an der
Konzentration und Tiefe, die das Hochheimer Terroir an sich hergegeben hätte. Auch so starke Rheingau-Jahrgänge
wie 2001 und 2002 waren beim Domdechant eher mager und wenig druckvoll, das waren kein Dome, das waren maximal
Kapellchen.
Tja, und wie das so ist, wenn man die Weine eines Erzeugers immer wieder als eher belanglos empfindet irgendwann
probiert man nicht mehr regelmäßig und verliert so ein Weingut aus den treuherzigen Igelaugen. So gings mir mit den
Werners. Aber der Weinigel ist ja voller Güte, endgültig abgeschrieben wurde bei ihm spätestens seit den Mathearbeiten
vor gefühlt fünfzig Jahren nichts und niemand mehr. So habe ich mir bereitwillig einschenken lassen, als Catharina
Mauritz, die Tochter des derzeitigen Weingutsinhabers bei der letzten Weinpräsentation der Kinkelstuben die
Wernerschen 2009er und 2010er ausschenkte.
Und, Tusch, es war nicht weniger als eine Auferstehung zu verzeichnen. Der 2010er Riesling Kabinett trocken aus dem
Kirchenstück zum Beispiel war nicht einfach nur gut, es war nicht weniger als der beste Kabinettriesling des Jahrgangs in
ganz Deutschland. Irgendwie ist es gelungen aus diesem Arschjahrgang“ (Captain Cork) einen eleganten und trotzdem
druckvollen Wein zu erzeugen, einen Wein, der perfekt balanciert ist, in dem Süße, Säure und Mineralität wunderbar
miteinander spielen. Anstatt dass, wie bei so vielen anderen 2010ern, die Säure vierspurig über die anderen
Komponenten des Weines rumpelt. Ein Harmoniewunder also. Präzise, geradlinig, ausgewogen. Während die meisten
anderen Weine aus diesem seltsamen Jahr mehr Schlagseite haben als ein CSU-Landbürgermeister nach der achten
Maß Löwenbräu.
Umso gespannter war ich auf das Erste Gewächs aus 2009. Sollte etwa auch dieser Jahrgang gelungen sein? Jaha, das
ist er, vor Begeisterung wären mir fast ein paar Stacheln aus dem Pelz geschossen:
Was für ein Duft, unglaublich ausdrucksvoll, so eine richtig schöne, opulente Rheingau-Rieslingnase, etwas erdig, aber
auch mit viel Zitrusfrucht, Orange, ein Hauch Zitrone, dazu eine bildhübsche Mineralität, da riecht es zwischendrin immer
wieder mal wie Steinmehl im Sommergewitter.
Am Gaumen viel, viel Druck, eine süße Orange, reichlich Schmelz, auch ein leichter Hauch Zitrone, mit etwas
eingemachter Ananas auf dem Dachgepäckträger. Auch hier ein kräftiger mineralischer Einschlag, der uns bis tief in den
sehr langen, wunderbar druckvollen Abgang begleitet. Ganz am Ende verschlankt er sich ein klein wenig. Da kippt dann
das Zitronige auch ein Spürchen ins Bittere, das fällt aber angesichts der Tiefe und der prachtvollen Saftigkeit kaum auf.
Ölig kommt er daher, und mit mehr Luft wird er immer mineralischer. Phasenweise erinnerte er fast sogar an die großen
Gewächse aus Rheinhessen, zum Beispiel von Kühling - wäre da nicht diese leicht erdige, würzig-fruchtige
Rheingaunote mit ihrem orangefruchtigen Schmelz. Sehr dicht gepackt, ein Kraftpaket! Für mich der beste Wein, den ich
von diesem Gut seit mindestens zwanzig Jahren probiert habe. Da ist der Abstand zu den Künstlers nicht mehr groß. 93
von 100 Willipunkten.
Heute auf der Hebebühne: Domdechant Werner Hochheimer Kirchenstück, Riesling Erstes Gewächs 2009, Rheingau