Weh-Weh-Weh
Willis Wein Werkstatt
Bouchard Ainé et Fils Meursault Cuvée Signature 2006
Verkostet im September 2012
Ist Euch der Unterschied auch aufgefallen? Der Unterschied im Wording? Bei diesen "Reportage"-Sendungen im Unter-
schichtenfernsehen? Bei denen viel Betroffenheitskirmes gemacht und mit schlecht gespielter Entrüstung über weit-
gehend erfundene Skandale berichtet wird? Diese Sendungen, wo der Anteil an Sensationsmache in umgekehrt propor-
tionalem Verhältnis zum journalistischen Niveau steht?
Nein? Ihr habt nichts gemerkt? Aber das muss Euch doch aufgefallen sein? Spätestens, wenn ich es Euch jetzt erzähle,
werdet Ihr sagen, ja, Mensch, Igel, das stimmt...
Aaalso - früher stellten sich die Blondinen, die diese Sendungen praktisch zwangsläufig moderieren, mit fein modellierter
Empörungsfratze vor die Kamera und sagten am Anfang einer jeden Sendung den Satz "Mein Name ist Frauke Ludowig".
Immer diesen gleichen Satz. Vielleicht zum Teil mit anderen Namen, aber irgendwie schien es mir, als hießen die alle
Frauke Ludowig. Erst nach dieser eitlen Vorstellungsrunde konnte die erste anspruchsvolle Reportage über den neuen
Trend zur mikroinvasiven Blinddarmtätowierung oder über Eileiterschwangerschaften bei Pantoffeltierchen auf Sendung
gehen.
Das war eine einfache Sache. Wenn die Blödine am Anfang einer dieser Sendungen mal nicht mehr wusste, wie sie
heißt - und das mag bei den Moderatösen im Depperlfernsehen häufiger mal vorkommen - dann schaute sie im Pass
nach und atmete erleichtert durch, "ach ja, stimmt ja, mein Name ist Frauke Ludowig". Davon machte die Regie schnell
eine MAZ, die ersten vier Worte schnitt man weg, und schon hatte man den unvermeidlichen ersten Satz aufgezeichnet.
Heute ist das ganz anders. Den Satz gibt es noch immer, aber er lautet jetzt nicht mehr "Mein Name ist Frauke Ludowig."
Heute sagt die Blondine: "Ich bin Frauke Ludowig".
"Das ist doch kein Unterschied", meint ihr? Oh doch! Den Namen, den hat man von Geburt oder spätestens von der
Taufe an. Und so heißt man dann eben. Aber ist man auch schon Frauke Ludowig, nur weil man so heißt?
Oder, allgemeiner gefragt: Wann ist man eigentlich jemand? Ist nicht das ganze Leben, ein - oft sehr angestrengter, fast
verzweifelter - Versuch, etwas zu werden, jemand zu werden, die eigenen Potenziale auszuschöpfen, die Persönlichkeit
zu entwickeln? Und ist der Satz "Ich bin Frauke Ludowig" dann nicht so etwas wie ein Schlussstrich unter diesen
Prozess, die Feststellung, "ja, ich bin das jetzt, ich heiße nicht mehr nur so, das ist jetzt das Maximum an Frauke
Ludowig, was nur irgendwie geht, ich bin angekommen, mehr ist nicht mehr drin, das Potenzial ist erschöpft?"
Gut, Frauke Ludowig ist jetzt vielleicht ein besonders schlechtes Beispiel. Da geht wahrscheinlich wirklich nicht viel
mehr. Die mag, ich wage es kaum zu befürchten, tatsächlich schon die Endstufe von Frauke Ludowig sein. Aber Euer
lieber Weinigel zum Beispiel, der versucht doch Tag um Tag pfotenringend immer noch besser zu werden. Da ist der
Prozess des Werdens ein fast unendlicher. Ginge meine Verkostung bei Hart aber Hopfenschuster oder bei Igel-TV auf
Sendung, mein erster Satz wäre doch: "Ich werde der Weinigel". Oder, noch zweifelnder, "Ich werde eines Tages
hoffentlich mal der Weinigel sein." Fragt mal den Roger Willemsen, der könnte über diese Frage sicher ein sehr kluges
und mindestens ebenso langweiliges Buch schreiben
Was das alles mit Wein zu tun hat? Na ja, heute hatte ich einen im Glas, der behauptete, ein Meursault zu sein. "Mein
Name ist Meursault" stand auf dem Etikett. Und irgendwie traute ich dem Braten nicht. Das Zeug kam schließlich nicht
von einem Winzer, sondern aus dem großen Handelshaus Bouchard Ainé, das Wein bei einer Vielzahl von Winzern
einkauft und diesen dann erst assembliert, anschließend unter eigenem Namen abfüllt und vermarktet.
Meistens bringen solche Handelshäuser nur mittelmäßige Qualitäten auf die Flasche. Weine, bei denen man die Liebe
des Winzers zu seinem Produkt nicht schmecken kann. Da fehlt die Seele. Auch wegen der Verschneiderei. Das sind
dann Tropfen, bei denen man zum Beispiel sagen könnte nein, das ist eigentlich kein Meursault, das schöpft die
Möglichkeiten der AOC Meursault einfach nicht aus, das heißt nur so, weil es dort eben zufällig gewachsen ist. Weine,
denen man gerne einmal in die Psyche schauen würde, ob sie einem nicht insgeheim entgegenrufen, "Mein Name ist
Meursault, ich wäre auch gerne Meursault, hoffe es eines schönen Jahres zu werden, bin es aber noch nicht, auch
wenn es so in meinem Pass steht."
Tja, und so war das heute mit dem Bouchard-Wein leider auch. Gar nicht schlecht in der Nase, leicht holzig, ja, aber
nicht penetrant, auch mit ganz feiner, dezenter Quittenfrucht unterwegs, weil der Holzeinsatz gut dosiert und gekonnt
gemacht ist. Dazu auch eine leicht grünliche Zitrone und sogar ein Hauch Mineralität.
Am Gaumen recht gute Balance zwischen dem leicht vanilligen Holzton und sehr Burgund-typischen
Chardonnayaromen. Das Holz lässt dem Chardonnay genug Raum, seine leicht nussigen Noten und eine sehr dezente,
feine zitronige Frucht zu entfalten. Auch der quittige Einschlag aus der Nase lässt sich mühelos wiederfinden. Recht fein
und elegant, auch sehr harmonisch, keine Frage, aber für einen Tropfen aus einer doch recht gehobenen AOC deutlich
zu leicht, zu schlank und zu kurz.
Auch wenn er an der Luft noch ein wenig zulegt, etwas nussiger wird, sogar etwas länger dichter und voller wird er
nicht. Ein gut gemachter Brot und Butter-Chardonnay aus der Bourgogne, das ja, ohne weiteres, aber einfach kein
Meursault. Oder höchstens der Meursault aus LEtranger von Camus, die Titelfigur, die sich durch Emotionslosigkeit und
Gleichgültigkeit auszeichnet.
Der, der einmal der Weinigel sein wird, vergibt dementsprechend nur 83 von 100 Willipunkten.
Wer das jetzt alles zu abgehoben findet, der nenne mich künftig einfach Ismael, über Risiken und Nebenwirkungen
informiert dann Roger Willemsen in seinem nächsten Buch.
Heute auf der Hebebühne: Bouchard Ainé et Fils Meursault Cuvée Signature 2006