Weh-Weh-Weh
Willis Wein Werkstatt
Lubentiushof "Spontan" Riesling trocken 2011
Currywurst? Kommt mir nicht in die Igelschnauze! Das ist doch Schimanskifourage.
Fleisch(?) gewordene Sättigungsbeilage. In Schweinsdarm gepresster Opel Manta. Nee,
kommt mir nicht in die Igelschnauze! Zumal das ja meistens verunfallte Bratwürste sind,
bei denen die Tunke nur überdecken soll, dass sie schon viele Monde lang über die
unendlichen Weiten des Grills geritten sind. Meist sind sie dabei so hart geworden wie die
Gesichtszüge des Marlboro-Mannes. Und genauso schrumpelige Haut haben sie auch.
Nee, Currywurst kommt mir nicht in die Igelschnauze!
Heute auf der Hebebühne: Lubentiushof "Spontan" Riesling trocken 2011
Der Bundesadventsminister warnt: Dieser Beitrag erscheint parallel nicht nur wie
sonst üblich im weltbesten Foodblog "Chef, der Metzger hat gesagt", sondern
diesmal auch als Adventskalenderbeitrag bei hundertachtziggrad°.
Damit verbinden sich die beste Homepage der Welt und zwei der weltbesten Blogs
zu einem Konzern, der demnächst reif für den Börsengang sein sollte. Den
kompletten hundertachtziggrad°-Adventskalender gibt es hier.
Wobei... was weht mir da unter den Linden der Hauptstadt in die Nase. Riecht schon
gut... So würzig, bratig, leicht exotisch auch... Plötzlich stehe ich auf den Hinterpfoten
und dann geht es wie im Comic-Heft - ein unsichtbarer Magnet scheint meine Nase
schnurgerade in eine Richtung zu ziehen, Die Pfoten strampeln willenlos drunter herum,
versuchen Schritt zu halten, eigentlich nur damit die Nase nicht vom Rumpf abreißt. Der
Riechkolben eilt schnell weiter, zum Ursprung dieses herrlichen, immer stärker
werdenden Aromas. Im Comic kann man das illustrieren, indem man den Duft in Form so
verspielter kleiner Wellenlinien sichtbar macht, die zur Quelle des Geruchs hin immer dicker und zahlreicher werden. Im
wahren Leben sieht man seltsamerweise nie etwas. Da muss man sich voll auf die Nase verlassen. Die immer mehr an
Tempo aufnimmt. Und, rumms, schlägt meine Stirn gegen eine Bretterwand. Eine Currywurstbude. "Original Berliner
Currywurst" steht dran.
Häh? Was ist denn Original Berlin an so einer Currywurst? Ob die Currykräuter dank global warming inzwischen auf dem
Alexanderplatz wachsen? Ob das Fleisch von glücklichen Schweinen stammt, die der oberste Gauckler der Republik zur
noch gefälligeren Imitation von Volksnähe neuerdings vor dem Schloss Bellevue weiden lässt? Den Rumänen im
Büdchen kann man auch nicht als Original Berliner bezeichnen, selbst wenn er mit Marmelade gefüllt wäre. Zumal der mit
nur wirklich ganz und ganz unberlinerischer Freundlichkeit nach meinen Wünschen fragt! Borderline-höflich ist der, der
Rumäne. Der muss wirklich aufpassen, dass er nicht im Alleingang die von den Berlinern so mühsam erarbeitete
Reputation zerstört, Weltmarktführer in Sachen Pampigkeit zu sein.
Na gut, also nehme ich so eine Wurst. Jeder kann ja mal Aussetzer haben. Andere hören dann Peter Maffay. Oder
tragen einen Jogginganzug. Richtig Probleme hat man erst, wenn man im Jogginganzug an der Wurstbude ordert, mit
Maffay auf dem I-Pod im Ohr.
Zurück zur Wurst! Hmm, tja, was soll ich sagen, das Ding ist geradezu rüpelhaft frisch! Ich bin nicht sicher, dass der
Gerichtsmediziner dem Schwein überhaupt schon den Totenschein ausgestellt hat. Auf den Punkt gebraten noch dazu,
weder hart, noch schrumpelig. Die Sauce ist kein ALDI-Ketchup über das irgend so ein gelber Sand geträufelt wird,
sondern eine pikante, tatsächlich ein wenig an echte Thai-Curry-Saucen erinnernde verspielte Begleiterin der Wurst.
Artisan“ würde man in Frankreich zu dem sagen, der diese samtige Dickflüssigkeit abgemischt hat. Dazu gibts, na klar,
frittierte Kartoffelstreifen, außen knusprig, innen drin noch wunderbar weich. Der Rolls Royce unter den Fritten, keine
Frage.
Das war vor vier Jahren. Seitdem habe ich mir so etwa bei jedem dritten oder vierten meiner zahlreichen Trips ins ferne
Berlin, unbeobachtet vom Freundeskreis, an genau diesem Büdchen meine Currywurst mit Fritten gekauft. Gerade in der
Adventszeit, wenn der Kommerz rund um die Linden Hochkonjunktur hat und die Weihnachtsmärkte mit stinkigen
Glühweinderivaten oder in ranzigem Fett gebratenen Essensparodien aus dem Boden schießen wie Minensplitter in
Kambodscha. Da erdet so ein Berliner Original. Vom Rumänen liebevoll serviert - "bringe ich Ihnen an Tisch" - immer
verbunden mit der Frage, ob man eine Serviette dazu wünsche, vielleicht noch etwas mehr Sauce, oder noch Salz.
Aber letzte Woche, da stand ich plötzlich irritiert vor meinem Büdchen und es fehlte etwas. Der Geruch! Genau, der
Geruch! Wo war der gewohnte Geruch? Auch der freundliche Rumäne war weg. Stattdessen füllte ein raumgreifender
Berliner das Büdchen aus wie einen Maßanzug. Ein Berliner, der mich so anschaute, als wäre allein mein Erscheinen vor
dem Büdchen mindestens so ein Übergriff wie Hitlers Ausflug nach Polen 1939. Er fragte auch nicht, was ich wolle.
Meine Bestellung wurde ebenfalls nicht kommentiert und die Wurst nicht ans Tischchen vor der Bude gebracht. Dazu
hätte der Berliner das Büdchen wahrscheinlich wie ein Schneckenhaus hinter sich herschleppen müssen. Der bräuchte
ja einen Eimer Gleitcreme, um sich da raus zu arbeiten.
Nee, die Wurst wurde lieblos auf die Pappschale zu den Pommes geworfen und dann das Ganze so heftig auf den
Tresen gefeuert, dass die Fritten lustig Ballett über das Resopal tanzten. Geschmacklich erinnerte die Wurst frappierend
an Autoreifen, nur von der Konsistenz her irgendwie härter. Und die Sauce, tatsächlich Billigketchup mit gelben
Mehlsprenkeln. Die Fritten dazu verbrannt und geschmacklos.
"Det sinn viazwanzich!!" war das einzige, was der Mann mit dem auftätowierten Wurstbüdchen im Laufe unserer
Begegnung äußerte. Serviette gab es nur auf Nachfrage, mit verächtlichem Gesichtsausdruck ob so hoher
zivilisatorischer Ansprüche.
"Herzlichen Glückwunsch" lächelte ich - "jetzt ist es endlich Original Berliner Currywurst". Und die, die kommt mir nun
wirklich nicht in die Igelschnauze!
Zeit, sich anderen Originalen zuzuwenden. Zum Beispiel dem 2011er Riesling "Spontan" aus dem Lubentiushof. Nun ist
ja der Lubentiushof unter den Terrassenmoselweingütern so ungefähr das, was mein Rumäne unter den
Currywurstbratern war: Da wird liebevoll und professionell gearbeitet und es entstehen kleine Meisterwerke. Aber
natürlich hinkt der Vergleich. Denn der Lubentiushof spielt nicht in der Currywurstliga, das Weingut ist unter der Leitung
der Barths seit mindestens zehn Jahren absolute oenologische haute cuisine. Nur die Preise sind noch nicht auf
Sterneniveau.
Wie professionell auf dem Lubentiushof gearbeitet wird, merkt man auch beim "Spontan". Ein puristischer Tropfen! Der
sei langsam und wild“ erzählt mir das Etikett und erläutert darunter gleich, dass mit wilden Hefen und Spontanvergärung
gearbeitet worden sei. Ganz wie früher, als man gar nicht anders konnte! Natürlich von Hand gelesen, auch das war
früher nicht anders. Also ein Original! Und da man früher auch Schwierigkeiten gehabt hätte, die Gärung durch Kühlung
zu stoppen, haben die Lubentiushöfer diesen Wein gnadenlos durchgären lassen. Gefühlt sind das minus zwei Gramm
Restzucker. Aber dazu gleich noch mehr.
Erstmal etwas zur Nase. Schon wieder meine ich, diese Wellenlinie aus dem Comic sehen zu müssen, jetzt schwappen
die wie ein Tsunami quer durch meinen Igelbau. In alle Richtungen. Dabei mischen sich kräutrige Spontinoten mit viel
schiefriger Mineralität, dazu ein wenig Honig, eine Frucht in statu nascendi und ein wenig Heu. Durchatmen, das ist fein
und gleichzeitig kraftvoll. Der hat in zwei Minuten meine Wohnhöhle vollständig ausgefüllt!
Am Gaumen dann ungemein frisch. Klare, üppige Säure, die ihn strahlen lässt wie Mülheim-Kärlich. Ja, wenn man so was
durchgären lässt, dann schlägt das am Zäpfchen ein wie Klitschkos Steelhammer am boxerischen Fallobst du Jour. Trotz
des praktisch kaum vorhandenen Restzuckers und dem bescheidenen "Riesling trocken" auf dem Etikett ist da ungemein
viel Kraft im Glas. Der müsste nicht rot werden, wenn er "Spätlese" auf dem amtlichen Kennzeichen trüge. Auch auf der
Zunge kräutrige Spontitöne am Anklang, manchmal fast ins Grasige, Sauvignoneske spielend, dann aber feine gelbe
Frucht in Hülle und Fülle.
Schöner Fluss, gradlinig, sehr harmonisch, viel Charme, wunderbar verspielt, dabei aber bis ganz zum Schluss kraftvoll.
Sehr langer Abgang. Wow, der würde zwischen Großen Gewächsen nicht wirklich unangenehm auffallen.
Am zweiten Tag noch cremiger, fast noch etwas deutlicherer Spontiton, weiterhin viel gelbe Frucht, jetzt noch etwas reifer
und ein wenig fruchtsüßer wirkend. Aber wirklich nur einen unmerklichen Hauch süßer, das bleibt ein Klassiker, ein
Original. 89 von 100 Willipunkten.