Weh-Weh-Weh
Willis Wein Werkstatt
Valpolicella und Amarone von Tedeschi
Mit dem Deostift hat alles angefangen. Und mit dem Typen in der grauen Uniform natürlich. Der hat mich erstmal ins
Grübeln gebracht, ob das i“ in Uniform in seinem Fall nicht überflüssig ist, denn man sieht selten einen so schlecht
sitzenden Anzug, wie ich ihn an diesem Menschen der Airport-Security bewundern durfte. So ein Polyester-Teil, vielleicht
auch nur Monoester, für poly machte es eigentlich nicht genug her. Aus der Unform heraus erklärte die nur notdürftig
diesen Aufzug gequetschte verschwitzte menschliche Presswurst mir: "Der Deostift ist eine Flüssigkeit, der muss in einen
Plastiksack."
Nun kann man sich der Frage, was denn so alles eine Flüssigkeit ist, sicherlich auf verschiedene Weise nähern.
Lieschenmülleresk zum Beispiel. Danach wäre flüssig wohl das, was bei Raumtemperatur fließt. Nach diesem zugegeben
nicht sonderlich wissenschaftlichen Ansatz würde man den Deostift einfach auf den Kopf stellen und sehr schnell
feststellen, hui, das ist aber eine Überraschung, die zur Applikation unter den Achseln gedachte Gelmasse ist ja so fest,
die fließt einfach nicht. Bei einer Straßenumfrage, die man ja gerne einmal zur Ermittlung der Volksmeinung heranzieht,
würden wohl an die zehn von neun Straßen erklären: Nein, keine Flüssigkeit.
Daneben gäbe es einen physikalisch-chemischen Ansatz. Danach ist nahezu jedes Element unseres Periodensystems
sowohl in festem als auch in flüssigem und schließlich gasförmigem Zustand zu haben. Es kommt allein auf die
Temperatur an. Steigt die Temperatur, erhöht sich die Mobilität der Atome und sinkt deren Zusammenhalt. Eine Masse
verflüssigt sich zunächst und wird dann irgendwann gasförmig. Auch für die meisten aus verschiedenen chemischen
Elementen zusammengesetzten Stoffe gilt Ähnliches. Demnach wären bei der Sicherheitskontrolle nahezu alle Dinge, die
wir so mit uns herumtragen, als Flüssigkeit zu bewerten zum Teil bedarf es halt noch der Erhitzung, um den flüssigen
Aggregatzustand zu erreichen. Oder umgekehrt, es gibt gar keine Flüssigkeiten, und wenn doch mal was flüssig ist, ist es
nur zu warm.
Ich habe es bei der Presswurst in der Monoester-Unform erst einmal mit dem lieschenmülleresken Ansatz versucht.
Keine Chance! "Nee, unsere Vorschriften sagen, dass is 'ne Flüssigkeit, auch wenns nicht fließt!" Also kam der
physikalisch-chemische Ansatz zum Tragen. Der ja fast ins Philosophische geht, panta rhei, alles fließt. Und, nichts ist
ohne sein Gegenteil wahr, deswegen fließt andererseits eben auch nichts, wenn man sich auf der Temperaturskala dem
absoluten Nullpunkt nähert. Die Presswurst versteinerte erstmal. Mein Gedanke hatte wohl einen langen Abgang bei ihm.
Über etliche Caudalien hinweg beschränkte er sich erst einmal auf die vegetative Verwaltung seines Nervensystems von
innen heraus. Dann vermeinte ich auf seinen Gesichtszügen übrigens eher so Güterzüge als ICEs leise bis mittellaute
Zweifel an meinem Geisteszustand ablesen zu können. Vielleicht auch eine zarte Note von Gereiztheit. Doch das
Wunder geschah, der Mann winkte ab und sagte: "Dann packen Sie den Deostift halt so ein, ist aber auf Ihre Gefahr!"
Den halte ich mir warm, den Kerl, da gehe ich nächste Woche auch mal mit einer Flasche Wein durch. Wir können ja mal
mit Eiswein anfangen, da sagt ja schon der Name, dass der nicht flüssig, sondern fest ist. In der Ausbaustufe dann auch
Rotweine, am besten geholzte, denn Holz ist ja auch ein Feststoff. So dass ich auf meinen Flügen in die ostdeutsche
Weindiaspora mal den einen oder anderen Roten aus Italien mitnehmen kann. Ich bin ja nicht mit dem Kutter unterwegs
wie Captain Cork, sondern mit dem Aeroplan, das schränkt gewaltig ein, wenn man sich den Securitymann seines
Vertrauens nicht warm hält.
Eine geeignete oenologische Entwicklungshilfe für den wilden Osten wäre zum Beispiel der Capitel San Rocco
Valpolicella Superiore Ripasso 2009 von Tedeschi. Den gab es neulich in meinem Igelbau und das war ein echtes Fest!
Nase leicht oxidativ, ein wenig pflaumig-rosinig, dazu ein Anklang von Leder und eine Spur Unterholz, hinten drauf auch
noch ein Haucherl Straßenteer. Am Gaumen leicht laktisch im Anklang, dazu die Pflaumen aus der Nase und eine
fleischige Würze. Schöne Fruchtsüße, ein Hauch Veilchenpastillen, etwas Heidelbeerlikör, sehr viel Charme hat das
Ding. Interessantes Spiel zwischen der leicht cremigen, charmanten Süße und der etwas ledrigen Würze. Belebt wird das
Ganze von der einen oder anderen schokoladig-likörigen Note, das lässt ihn noch etwas voller und vielschichtiger
wirken. Mit Luft ist auch ein ganz leichter Stallton wahrzunehmen, der dann aber wieder verfliegt und ohnehin sehr
schnell von der Frucht an die Bande gedrückt wird. Vielleicht wird das Stallige im Laufe der kommenden Jahre stärker,
man sollte den Wein ein wenig unter Beobachtung halten. Wobei ist es wirklich Stall? Oder ist es vielleicht nur ein leicht
kräutriger Bratensaft und eine sehr teerige Mineralik? Das ist nämlich die Richtung, in die er nach einer Stunde im Glas
marschiert. Gute Länge und Fülle, das macht Freude, nur ganz am Ende des Abgangs vielleicht eine Spur zu
alkoholisch. Am zweiten Tag deutlich mineralischere Nase, dazu eine wunderbar fleischige, bratensaftige Würze. Etwas
heißer Asphalt. Am Gaumen auch diese Mischung aus Mineralik und Würze dazu eine säuerliche feine Schwarzkirsche,
die Pflaume ist verflogen. Sehr fein! Auch leicht röstige Noten haben sich herausgeschält, vor allem im Abgang. Ist mir 87
von 100 Willipunkten wert, für einen Valpolicella ist das ein Wort!
Eins drüber steht im Sortiment von Tedeschi der Amarone della Valpolicella Classico 2007. Der steht auch bei mir auf der
Verkostungsbühne eine glatte Stufe über dem Ripasso, wenn nicht sogar zwei. Tiefdunkle schwarzrote Farbe, fast tintig.
Tolle Amaronenase, opulente mineralische Würze, schön röstig, aber nicht fasstoastig, sondern eher gebratener
Thymian/Salbei. Mit etwas Luft wehen auch leicht kompottige heidelbeerige Fruchtnoten durch den Riechkolben, das
Schwergewicht bleibt aber auf der Mineralität. Am Gaumen etwas sehr rumtopfig im Anklang, der Alkohol sticht zunächst
ein wenig, kein Wunder bei offiziellen 16 Prozent. Auf den zweiten, dritten Schluck und mit etwas mehr Luft wird das
besser, es rundet sich zwar nicht völlig, doch kommt das Kräutrige deutlich stärker hervor und entwickelt auch die
Fruchtsüße immer mehr Profil. Vorne spielt noch die Heidelbeere die erste Geige, im Abgang schlägt dann die Mineralität
erbarmungslos zu, da wirkt er richtig maskulin, herbe Kräuter, viel Würze, etwas Teer, er macht richtig Betrieb am
Zäpchen und bleibt sehr fest am Gaumen wobei Festigkeit ja ein ganz prima Argument für den nächsten Dialog mit der
Polyester-Presswurst ist. Nach zwei Stunden Belüftung zieht die Frucht und die Süße dann aber im Abgang nach, das
Ganze wird charmanter, noch etwas voller und der Alkohol ist kaum noch im Vordergrund. Am zweiten Tag schälen sich
am Gaumen schokoladige, likörkirschige Noten heraus, ganz leicht oxidativer wirkt er jetzt, die Würze ist mehr in den
Hintergrund getreten, der Alkohol spielt kaum noch eine Rolle. Samtig mit toller Länge und Fülle. Den sollte man wohl
noch ein paar Jahre einkellern, da ist reichlich Potenzial vorhanden! 92 von 100 Willipunkten. So massiv, dass man ihn
fast schneiden kann, das werde ich auch dem Securitymann so sagen müssen, fürchte ich.
Heute auf der Hebebühne: Valpolicella und Amarone von Tedeschi