Weh-Weh-Weh
Willis Wein Werkstatt
Heymann Löwenstein, Winninger Uhlen R Auslese 2007
Keller Dalsheimer Hubacker Riesling Auslese*** 2002
Immer ein Vergnügen, der Kanzlerin zuzuhören. In dieser Woche sprach sie über die Energiewende und darüber, wie
man die Kosten derselben im Zaum halten könne. Und was sagt sie da, die Angela: "Die Berechenbarkeit der
erneuerbaren Energien braucht Korridore. Die Korridore kann man aber nur einhalten, wenn man einen atmenden
Deckel hat, mit dem man die Korridore auch einhalten kann." Ja, das ist sicherlich richtig. Wenn man einen atmenden
Deckel hat, mit dem man die Korridore einhalten kann, dann kann man die Korridore einhalten, wer wollte das bestreiten?
Das kann man rein logisch gar nicht bestreiten. Wobei das nicht nur für atmende Deckel gilt. Wenn ich irgendetwas
anderes habe, mit dem ich die Korridore einhalten kann, also vielleicht einen atmenden Dackel, einen nicht mehr
atmenden Säckel, einen jodelnden Jockel oder einen rodelnden Hackl, dann kann ich beruhigt sein, denn dann werden
die Korridore eingehalten.
Sinnfreiheit ist Trumpf in solchen geistigen Zirkelschlüssen. Und die Wähler sind weiterhin der Meinung, die
Volkskanzlerin mache ihren Job im großen und ganzen doch gar nicht so schlecht. Weil man ja kaum anderer Meinung
sein kann als sie, wenn sie solche rhetorische Schleiertänze aufführt, immer fein um Inhalte herum und an der Realität
vorbei. Dabei sagt sie im Ergebnis gar nichts. Denn was soll ein atmender Deckel überhaupt sein? Dazu kein Wort! Und
warum erhöht sich meine Stromrechnung nicht, wenn irgendsoein Deckel ein- und ausatmet? Auch dazu kein Wort.
Vielleicht ist es auch gar nicht so einfach, einen atmenden Deckel zu bekommen. Karstadt hat die jedenfalls nicht im
Angebot, und auch bei Amazon habe ich vergeblich gesucht. Nicht mal bei ebay gibt's sowas.
Mal ganz davon abgesehen, dass schon der erste Satz "Die Berechenbarkeit der erneuerbaren Energien braucht
Korridore", eigentlich ziemlich inhaltsleer bis missverständlich ist. Was ist die Berechenbarkeit der erneuerbaren
Energien? Man ahnt, was sie damit meinen könnte, vielleicht die Kosten der erneuerbaren Energien oder die daraus
resultierenden Auswirkungen auf den Strompreis. Das ist ja das Schöne, wenn eine so vage bleibt, jeder kann sich dann
das herauspicken, was er möchte. Und sie kann Jahre später immer noch sagen, dass es natürlich ganz anders gemeint
war. Beweist ihr mal das Gegenteil! Aber wir nehmen den Satz jetzt mal wörtlich, dann ist's nicht weniger als ein Angriff
auf die Grundlagen der Mathematik. Denn erst einmal kann man erneuerbare Energien nicht ausrechnen. Wie soll das
gehen? Bei welcher Addition, Multiplikation oder Division kommt das Ergebnis "erneuerbare Energien" heraus?
Milchmädchen mal Rechnung geteilt durch Wolken, minus Kuckucksheim? Und wieso braucht man für die
Berechenbarkeit Korridore? Mathematik ist doch eine exakte Wissen-schaft. Angie, Du bist doch Physikerin, ich muss
schon sagen! Hätte ich in der Schule so gearbeitet, ich hätte auf die Frage des Lehrers, was zwei mal zwei ergebe, ganz
souverän einen Korridor zwischen drei und fünf angegeben. Und ihm mitgeteilt, dass er mir einen großen Gefallen täte,
wenn er einen atmenden Deckel besorgen könne, mit dem die Einhaltung des Korridors sicher gestellt werden könne.
Wahrscheinlich hätte er mich dann vor die Tür gestellt, der Lehrer. Auf den Flur, womit wir wieder beim Korridor wären,
den man ja braucht, wenn man rechnen will, so langsam verstehe ich die Sache.
Oder meint die mit dem atmenden Deckel am Ende den Kork in der Weinflasche? Und ahnt nicht, dass sie sich damit auf
das schwerstverminte Gelände der Grundsatzdiskussion über die Luftdurchlässigkeit von Korken begibt. Obwohl ihr
auch das nicht schwer fiele - wenn man einen Korken haben will, der Luft durchlässt, braucht man einen Korken, der Luft
durchlässt, dann hat man einen Korken, der Luft durchlässt. Ach Frau Bundeskanzlerin, letztlich ist die Debatte um die
Luftdurchlässigkeit von Weinverschlüssen eine rein akademische Diskussion, die sie bitte in der nächsten Plenarsitzung
mit dem zuständigen Bundesernährungsminister führen sollten.
Wichtiger ist, dass der Flaschenhals den Wein durchlässt, wenn erst einmal der Korken entfernt ist. Bei der 2007er
Auslese aus dem Uhlen R von Reinhard Löwenstein ist mir das dieser Tage ganz gut gelungen. Die platschte fröhlich
und ohne größeren Widerstand ins Glas und sprang gleich wieder aus demselben heraus in die Nase, mit einem ganzen
Haufen an Trockenfrüchten, Dörrapfel vor allem, einem Hauch Aprikose, etwas liköriger Orange und einem botrytischen
Honigfähnchen. Dazu ein Spürchen Schiefer, der mit mehr Luft immer kräftiger wird und sich mit dem Dörrobst um die
Lufthoheit an den Rezeptoren balgt. Am Gaumen massive Süße, das ist fast schon schnittfester Honig. Die Fruchtnoten
müssen sich erst durch diese Wand von Restsüße kämpfen. Dann hat aber doch eine feine, sehr saftige Aprikose ihren
Auftritt, im Abgang begleitet von einem kleinen Schieferkonzert aus dem Orchestergraben hinten am Zäpfchen. Schöne
Länge, wobei auch da erst einmal die fast schon kratzige Süße dominiert, ehe Schiefer und Aprikose wie auf einer
Sinuskurve wieder in den Vordergrund klettern und sehr lange schmeckbar bleiben. Vor allem der Schiefer und die - mit
noch etwas mehr Luft - immer deutlicher werdende Botrytis bleiben fast endlos. Trotz der Zuckerfront trinkt man sich
irgendwie recht flott hinein in diesen Uhlen und nach ein paar Schlucken wirkt der Wein sogar recht fein. 2007 ist
vielleicht das Jahr, in dem Reinhard Löwenstein auch mit seinen restsüßen Weinen den Sprung in jene Spitzenklasse
geschafft hat, in der seine trocken-halbtrockenen Gewächse schon viele Jahre zuvor gespielt hatten. Großes
Reifepotenzial, der Wein wird über die kommenden zehn bis fünfzehn Jahre sicher noch sehr schön zulegen. 90 von 100
Willipunkten.
Leider war es nur eine Halbflasche und, "das weiß man, das ist bekannt" (Beckenbauer), auf einem Wein kann man nicht
stehen, schon gar nicht, wenn der aus der Halbflasche kommt. Also gab es als Dessert noch einen 2002er Dalsheimer
Hubacker Riesling Auslese*** aus dem Hause Keller. In der Nase ist der mit Beerenauslese-Stilistik unterwegs, klarer
Fall. Dicke Botrytis, rosinige Töne, fast schon wie ein opulenter Madeira. Ein erster Hauch von Tabak ist auch schon
wahrnehmbar. Und ein haselnussiger Einschlag, mehr im Hintergrund. Dazu eine feine Frucht, die sich schon so ein
wenig hinter der Botrytis zu verstecken beginnt. Also - zumindest vom Nasenbild her - genau der richtige Zeitpunkt, den
Wein zu trinken, denn wenn die Botrytis erst vollends die Frucht erschlagen haben wird, gehen Rebsortentypizität und
Gebietscharakter schrittweise verloren.
Am Gaumen bestätigt sich dieser Eindruck. Der Wein ist auf dem Punkt. Der Tabak spielt noch eher eine Nebenrolle,
supporting actor, maximal, in der Mitte der Bühne steht ein Böllerschuss Karamell, ein vielstimmiges Konzert von
rosinigen Tönen, Mandeln, Nüssen. Studentenfutter auf die Flasche gezogen. Ungemein komplex und dicht. Vor allem
der Nusston kommt im Abgang immer prägnanter heraus. Dazu eine lebendige Säure, opulente Süße, dicke Botrytis,
alles extrem harmonisch verbunden. Unfassbare Länge, eine Urgewalt ist das, auch als Rheinhesse zu erkennen. Doch
die die Stilistik des Weinguts verleugnet er ein wenig, die ansonsten so kellertypische Mineralik vermisst man. Doch das
ist keine Kritik, denn hier haben wir es mit einer fast perfekten, riesengroßen botrytischen Auslese zu tun. Wenn man
nicht der größte Fan der Edelfäule ist, sollte man sie jetzt trinken, wo der Karamell noch ein Karamellapfel ist. Ansonsten
halt irgendwann in den kommenden hundert, hundertfünfzig Jahren. 95 von 100 Willipunkten, das ist ein Pfund.
Hat man beide Flaschen geleert, wird man wahrscheinlich auch den Dackel atmen oder den Deckel rechnen hören,
vielleicht sogar verstehen, was die Kanzlerin mit ihren beiden Sätzen gemeint hat. Denn irgendwie ist einem, als hätte ein
Engel über die Seele gepinkelt.
Heute auf der Hebebühne: Heymann Löwenstein, Winninger Uhlen R Auslese 2007 und Keller Dalsheimer Hubacker Riesling
Auslese*** 2002