Weh-Geh-Weh
Willis Gourmet Werkstatt
Vierschänkentournee Teil 8 (Le Bernardin)
Der Gourmetigel ist noch immer im Hogxit in den USA. Und klopft bei George Walker mal ein wenig auf den Bush,
welche Chancen Bruder Jeb denn bei den Präsidentschaftswahlen gegen das Flinten-Weib das Clinton-Weib so
haben könnte.
Irgendwie habe es geschafft, mir den Besuch in diesem Haus zu verkneifen und stattdessen meine Sternfahrt
durch New York fortzusetzen. Zweite Station war das Le Bernardin. Stilvoll eingerichtet, die Tische nicht ganz so
eng gestellt wie bei Vongerichten. Eng genug ist es aber immer noch. Und laut. Sehr laut. Nur wenig leiser als im
Jean-Georges. Die Stoffbespannung an den Wänden und die großen Blumengestecke, die als Raumteiler
fungieren, fressen wohl ein bis zwei Dezibel. Ansonsten gibt es viel Holz, an der Decke und an den Wänden. Im
Hintergrund an der Wand ein riesiges Ölgemälde mit einer halbabstrakten Berglandschaft. Das Ganze wirkt
elegant, stilvoll und nobel.
Allerdings findet auch im Bernardin der gleiche Parforceritt statt wie im Jean-Georges. Drei Services am Abend, 250
Gäste werden zwischen 18 und 24 Uhr abgefertigt. Dementsprechend flüssig läuft der Service. Um es mal nett zu
formulieren. Denn im durchchoreographierten Ablauf bleibt etwas wenig Zeit für Erläuterungen zu den einzelnen
Gerichten oder gar für Beratung bei der Weinauswahl. Obwohl die österreichische Sommelière auch bei ihren
Kurzauftritten reichlich Kompetenz verströmt, das muss man schon zugeben.
Als erster echter Gang wurde ein gelber Thunfisch serviert. Als hauchdünnes Sashimi auf den Teller carpacciert
und mit leicht angerösteten Ibericobröseln, Meeresbohnen, Kapernschitzchen und Limonen-Oliven-Öl bestreut.
Top-Fischqualität, perfekte Abstimmung mit dem Hauch Kapern und den erst dezenten, dann aber nachhaltiger
herauszuschmeckenden Iberico-Croutons. Elegant und trotzdem kräftig im Geschmack, durchaus innovativ!
Phantastisches Pairing mit dem 2013er Grünen Veltliner "Freiheit" von Martin Nigl aus dem Kremstal. Sehr
rebsortentypisch im Anklang mit Pfefferl und leichtem Muskatton. Hinten heraus dann überraschend viel Frucht.
Enormer Druck, tolle Länge, erst recht wenn man berücksichtigt, dass das ja eher einer der Einstiegsweine von
Nigl ist.
Auf dem Teller folgte nun die Jakobsmuschel, ein klarer Fall für den vierten Stern! Ein Riesending, in jeder
Hinsicht. Auch rein vom Volumen her, die muss neben einem Kernkraftwerk (so) groß geworden sein, die war
größer als ich! Perfekt gegart, auf einer Sauce von brauner Butter angerichtet. Nur ein Klecks, der aber wirkte wie
einreduzierte braune Butter, unglaublich. Dazu wurde eine zweite Sauce angegossen. Dashisud, der sensationell
mit der Röstbutter spielte. Die Kunst besteht darin, beide Saucen und die St.-Jacques gleichzeitig an den Gaumen
zu kriegen, dann strahlen die Augen wie das Kernkraftwerk neben dem die gewaltige Cocquille ihre Heimat hatte.
Auf ihre Empfehlung hin orderte ich als Apero den Brut Solera Premier Cru Champagner von Pouillon. Sehr
puristisch-trocken, nussig. Aber sehr tief und mit Nachdruck am Gaumen. Stand sofort auf der Liste für einen
Hausbesuch beim nächsten Trip an die Marne.
Dazu ließ die Küche drei Amuses auffahren: Zunächst Lachssashimiröllchen der besten Qualität mit einer
erstklassigen Honigsauce. Großartig! Dann einen Oktopus mit einem etwas ausdrucksarmen Erbsenpüree. Das
mittig darauf drapierte Blättchen Bockshornklee und eine Zitronenvinaigrette auf Champions-League-Niveau
sorgten aber dafür, dass auch der Tintenfisch an Tiefe gewann. Schließlich eine sehr intensive aber leider etwas
eindimensionale Karottensuppe mit einem Keks, der an chinesisches Reisgebäck erinnerte. Auch gut aber ein
wenig harmlos vielleicht.
Das Pairing war hier - zum ersten und letzten Mal an diesem Abend - ein Schlag ins Wasser. Der 2007er Gran
Riserva Barrica Cava von Agusti Torello Mata aus Katalonien hatte in der Nase und am Gaumen so viel
Lösungsmittel, dass die von der Sommeliere angedachte Harmonie mit dem Senf dann doch nicht funktionierte.
Na ja, hinten heraus war er etwas runder, dann aber fast schon wieder zu harmlos. Schade!
Mein persönlicher Menühöhepunkt folgte mit dem "barely cooked wild salmon" mit Erbsenschnee und Shiitake-
Matsutake-Brühe. Der Lachs war sechssternig. Unten schon ganz, na, sagen wir, fast ganz durchgegart, oben
noch fast Sushizustand. Unten schwimmt er im Sud von Nippons Pilzen, obenauf liegen Kräuter, Salz und
Pfefferkörnchen, die den grandiosen Eigengeschmack des fast noch rohen Teils bestens hervorhoben. Zwei
Weltklassegerichte in einem!
Und zum zweiten Gericht, dem mit der heftigen Sauce, passte der Wein dann wieder nahezu optimal. Denn das war
der 2010er Pago de los Capellanes, Crianza, aud der Ribera del Duero. MUSS ich in Deutschland kaufen! Für
eine Crianza ist das unfassbar gut! Erst noch mit einem ganz leichten Oxi-Ton unterwegs, der gab sich aber
schnell. Richtig viel Betrieb am Gaumen, süßliche Beeren, viel Würze, nach 5 Minuten ist er voll da, tief, dicht,
superb, steht auch noch völlig ohne Essen. Aber da musste ich ihn natürlich schnell austrinken, denn in der
amerikanischen Parforcejagd durch das Menü wartete ja schon der nächste Gang.
Das Predessert, Clementinenschnitze mit Kokosnuss-Yuzu-Eis und bitterer Clementinen"marmelade". Äääh, ja, das
mag ich eigentlich alles nicht so besonders gern. Diese Yuzu-Modo ist ungefähr so notwendig wie der Trend zur
Verunstaltung des eigenen Körpers mit Tintenarabesken oberhalb des Gesäßes. Und die Stückchen aus der
Clementinen-Schale in der Marmelade (eigentlich eher ein Granité) verstehe ich auch nicht richtig. Wie sich mir
ganz allgemein noch nicht erschlossen hat, warum man die Schale von Zitrusfrüchten, die man beim Verzehr
üblicherweise ja zu entfernen pflegt, plötzlich zu vertilgen beliebt, wenn diese in Marmeladenform daher kommt.
Und Kokoseis, uff, in zehn von neun Fällen ist mir das zu breit. Wie dem auch sei, im Bernardin gilt das
mathematische Prinzip, wonach aus minus mal minus plus wird - die Bitterkeit der Clementinen und die Breite des
Kokos heben sich irgendwie auf und es wird ein Traumdessert daraus.
Dazu die 2012er Zweigelt-Beerenauslese von Kracher. Sehr botrytische Nase, nur am Tannin erkennt man die
rote Rebsorte. Sehr fein, sehr voll, gut balanciert, muss mit dem Dessert aber schon ziemlich kämpfen, um
wahrnehmbar zu bleiben. Was für das Dessert spricht und nicht gegen den Wein!
Noch ein paar Mignardises: Eine sehr feine Schokopraline mit einem Hauch Orange. Ein Pistazienmacaron, leicht
salzig, edel, mit einem Hauch Karamell und nicht zu fett, prima! Ein Fruchtgeleestückchen, bittere Orange mit
einem Hauch Passionsfrucht. Ein Schoko-Financier, perfekt, leichtfeucht, etwas salzig, krümelig, volle Punktzahl!
Die Sommelière setzt noch einen drauf und spendiert mir etwas, was ich im Leben nicht bestellt hätte, einen
Moscato-Sekt aus Asti. Der 2013er "Vigna Senza Nome" wäre mir, obwohl von Giacomo Bologna, freiwillig
eigentlich nicht ins Glas gekommen. Süßer Asti-Sekt, hallo?!? Aber erstens wars ein weiniger Muscadelletropfen
mit nur mäßigem Restzucker. Und zweitens passte das halt auch wieder sagenhaft zum Dessert. 20/20 für das
Pairing!
Es folgte die Schoko-Haselnuss-Praline, für die die Speisekarte einen Untertitel auswies: "Mehlloser
Haselnusskuchen mit Giandujamousse, Orangencurd, Pralineneis". Klingt gut, war noch besser! Oben eine Lage
wunderbarer dunkler Schokolade, darunter eine Lage von einreduzierter Nuss au Chocolat und Orangenmousse
und dann noch einmal eine dünne Schokoschicht. Darunter dann ein Krokantnussnougatmoussekuchenbrownie.
Dazu Haselnusseis mit Salzkaramellkrümeln. Ein Gedicht!
Irgendwie verkommt die Politik jenseits des Atlantiks immer mehr zum Family Business. Der Bruder bzw. Sohn
zweier vorheriger Präsidenten tritt gegen die Frau eines anderen Expräsidenten an. Auf deutsche Verhältnisse
übertragen hieße das, wir könnten uns auf einen Wahlkampf Walter Kohl gegen Doris Schröder-Köpf einrichten.
Das möchte ich mir gar nicht erst ausmalen müssen. Und der SPD-Mann Albig offenbar auch nicht. Deswegen hat
er seiner Partei vorgeschlagen, zur kommenden Bundestagswahl keinen eigenen Kandidaten mehr aufzustellen,
sondern gleich für eine Verlängerung der Regentschaft Merkel zu kämpfen. Am liebsten würde er wohl die Angie
zur Konsulin auf Lebenszeit machen. Wenn Frau Merkel jetzt noch den Jeb oder wenigstens den Donald mit der
lustigen Frisur heiratete, wären die Kinder reif für die Weltherrschaft. That's why the lady is a Trump.
Kulinarisch hat die deutsch-amerikanische Fusion schon stattgefunden, wie dieses dramatische Bilddokument von
der 3rd Avenue belegt:
Dazu ein 2012er Chardonnay aus dem Jura, leicht oxidativ ausgebaut. Ohne das Essen ein ziemlicher
Brechstangenwein, dabei aber durchaus hochwertig anmutend, die Edelausgabe eines Muskelprotzes. Zur
Muschel war's eine dritte Sauce, da wirkte er plötzlich viel weicher. Perfekte Harmonie!
Die Küche meldete sich mit der Peekytoe Maryland Lumpcrab zurück, mit hauchdünnen Blumenkohlscheiben
überhobelt, serviert auf Brokkolimus, an das eine Senf-Creme Fraiche-Gelbwurz-Sauce angegossen wurde. Diese
Sauce ist irgendwo zwischen dem vierten und fünften Stern anzusiedeln. Manchem wäre sie zu kräftig, vielleicht
auch zu senfig, zu überladen, aber ich bin ja Drucktrinker, auch bei Saucen, ich brauche sowas, ich liebe sowas.
Die haut mich vom Sessel, die bleibt ewig am Gaumen und lässt dem Krebs trotzdem noch seinen Platz an den
Papillen. Genial!
Und zu beiden passte der 2013er Chardonnay von Sandhi aus Santa Barbara geradezu perfekt. Ohne Holz
ausgebaut, der Igel ist ja kein Holzwurm, frisch und dennoch voll, rebsortentypisch, lang, dicht, großartig auch
ohne Speise. So macht Chardonnay aus der neuen Welt richtig Freude!
Nun kam eine Streifenbrasse auf den Tisch, auf bhutanesischem roten Reis, mit Salat von grüner Papaya. Perfekt
gegart und mit einem Hauch würzigem Klee (Bockshorn?) im Abgang noch etwas turboaufgeladen. Allerdings ist
die Sauce von Rotwein und Ingwer, die das Ganze umrandet, deutlich zu heftig. Sie verbindet sich nur sehr
unvollkommen mit dem Fisch, weil sie ihn ganz unwaidgerecht erschlägt, anstatt ihn sich sanft zu angeln. Es wirkt
ein wenig wie der Versuch, im Fischlokal dann halt doch eine eigentlich für einen Fleischgang passende Sauce zu
bringen. Ich esse den Fisch von oben weg und nehme die Sauce nur zu den Linsen. So waren es - unfreiwillig -
wieder zwei Gerichte in einem.
Ein furioses Finale eines insgesamt ganz hervorragenden Menüs. Tolle Saucenküche, kein molekulares Chichi,
keine Innovationsweltmeisterschaft, sondern klare Fokussierung auf Produkte und Kompositionen. Vielleicht ein,
zwei Mal eine Spur zu japanisch angehaucht? Auf jeden Fall aber drei Sterne mit Goldrand, eine der besten
Adressen in den USA, ohne Frage. Auch das Pairing nahezu perfekt, Kompliment! Das Menü mit Weinbegleitung
kostet 260 Dollar. Vor dem Euroeinbruch war das regelrecht ein Schnäppchen. Heute ist es noch immer im
ausgesprochen günstigen Bereich. Hier wünschte man sich noch viel mehr als bei Jean-Georges, dass das Ganze
nicht als derartige Gewalttour durchgezogen würde, man mehr Zeit für Genuss und Reflektion bekäme. Zwei
Durchgänge am Abend sollten doch auch reichen, dann hätten die Gäste jeweils eine Stunde länger Zeit, sich an
den Herrlichkeiten zu freuen. Dafür lege ich gerne noch einen größeren Dollarschein drauf.