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Willi Igel in Brasilien
Heiße Samba unter dem Zuckerhut, kaum ein Fetzen Stoff auf den kaffeebraunen sich unter der ewigen Tropensonne von Ipanema beim Beachvolleyball präsentierenden
Luxuskörpern, permanente Party und allzeit willige Schönheiten mindestens dreierlei Geschlechts an allen Straßenecken. So stellt uns das ehrwürdige deutsche
Privatfernsehen Brasilien gerne dar. Ich wollte es genauer wissen und habe unter Hinanstellung aller fiskalischen Bedenken meiner Hausbank weder Reisekosten noch
Mühen gescheut und einige Wochen vor Ort den ultimativen Brasilientest durchgeführt. Hier die wichtigsten Ergebnisse:
Anreise und Ankunft: Wer der Einfachheit halber gleich in Rio landet und es geschafft hat den Annäherungsversuchen der auffallend zahlreichen Air Swiss-Stewards zu
widerstehen, freut sich, dass einem die Schlange am Schalter für die Passkontrolle einige Stunden Zeit gibt, sich intensiver mit den Details von Architektur und
Innenausstattung des Flughafengebäudes auseinanderzusetzen. Wichtigste Erkenntnis: Die Klimaanlage funktioniert nicht. Natürlich ist die liebevolle Dekoration der
Räumlichkeiten mit denkmalgeschützten Kühlapparaten und der ausgezeichnete Service, ein Schalter für 290 Ankömmlinge, nicht umsonst zu haben, bei der Abreise
werden wir 35 US-Dollar Flughafengebühr pro Person bezahlen dürfen.
Essen und Trinken: Die brasilianische Küche ist für ihren Abwechslungsreichtum berühmt! Es gibt gegrilltes Fleisch, Fleisch vom Grill, Fleisch vom Rost und Grillfleisch.
Zur freien Auswahl! Am Meer außerdem noch gegrillten Fisch, Fisch vom Grill, Fisch vom Rost und Grillfisch. Dazu werden in besseren Lokalen die besten Weine des
Landes angeboten. Darunter fällt vor allem die Liebfraumilch, die trotz der schwarz-rot-goldenen Fahne auf dem Etikett und dem deutschen Namen in Brasilien und aus
brasilianischen Trauben hergestellt wird. Das Etikett verrät gleich, was drin ist: Vergorener Traubensaft, Zucker und Konservierungsstoff. Der Geschmack hat mich
unwillkürlich an die §§ 233 ff Strafgesetzbuch erinnert, in denen bekanntlich die Tatbestände der schweren Körperverletzung, der Körperverletzung mit einer gefährlichen
Waffe und der Vergiftung sowie der Körperverletzung mit Todesfolge abgehandelt werden.
Hygiene und Umweltbewusstsein: Brasilien ist ein sehr sauberes Land und legt großen Wert auf Recycling. Wahrscheinlich deswegen verzichtet der Brasilianer von Welt
darauf, das Toilettenpapier zusammen mit dem Darm- bzw. Blaseninhalt in die Toilettenschüssel zu verfügen und es sodann per Kanalisation in den Amazonas zu spülen.
Vielmehr wird das benutzte Papier in eigens neben dem Thron aufgestellten Eimern entsorgt und dann nach einer mehr oder weniger langen Lagerung in diesen Eimern einer,
trotz allen investigativjournalistischen Talents ohne weiteres nicht zu eruierenden, Zweitverwendung zugeführt. Dieses Verfahren muss auch mit der sprichwörtlichen
Tierfreundlichkeit der, auf eine lange Tradition im Farmwesen zurückblickenden, Einheimischen zusammenhängen. Kakerlaken wollen schließlich auch leben und dürften sich
freuen, eine so deutliche Einladung zum Hausbesuch zu bekommen.
Organisationstalent und tägliches Leben: Man sagt den Brasilianern wie den meisten Latinos einen großen Hang zum laissez faire und ein noch größeres
Organisationstalent zur Behebung oder Kaschierung der daraus resultierenden Probleme nach. Laissez faire ist in jedem Fall richtig und kann ganz wörtlich mit "machen
lassen" aus dem Französischen übersetzt werden: Der halbwegs etablierte Brasilianer von heute stellt sich zum Monatslohn von 180 bis 250 Reales (90 bis 125 Euro) ein paar
Hausangestellte ein und verzichtet fürderhin auf alle körperlichen Anstrengungen oder Arbeiten. Man "lässt" putzen, kochen, aufräumen, sich den Arsch abwischen und sodann
denselben auf Händen hinterher tragen; "lässt" die Kinder erziehen und betreuen; "lässt" Einkäufe tätigen und in die Wohnung bringen, eine wirklich arbeitsteilige
Gesellschaft. Das geht allerdings nicht immer gut, denn die zu diesem Lohn schuftenden, mit dem bloßen Auge kaum von Sklaven zu unterscheidenden Angestellten
scheinen sich in vielen Fällen kaum mit ihrer Arbeit zu identifizieren und erzielen immer öfter betriebswirtschaftlich suboptimale Ergebnisse. Und nun kommt das Problem: Mit
dem Organisieren ist es leider nicht so weit her, wie es das Klischee gerne verbreitet. Im Gegenteil, jede kleine Aktion zur Verbesserung der suboptimalen Arbeitsergebnisse
braucht einen ewigen Organisationsvorlauf. Telefonat hin, Gegentelefonat her, ein drittes Telefonat zurück, was sollte ich noch einmal tun? Ach so? Und wie wars noch einmal
gemeint? Aha, das geht leider nicht aber, aber vielleicht gehts anders, ich muss nur mal eben den Schwager des Bruders der Fußpflegerin meines Postboten anrufen und
melde mich dann gleich wieder. Am besten "lässt" man auch gleich organisieren.
Willi Igel going bananas
Samba do Bresi-gel, the boy from I-gel-panema
Fortbewegung und Reisen: Diese Mentalität hat sich auch die kleinste der drei brasilianischen Fluggesellschaften, die VASP, zu Eigen gemacht. Mit ihr zu fliegen, kann nur Abenteuertouristen empfohlen werden, die zudem nicht auf
das Erreichen von Anschlussflügen angewiesen sind. Auf die Frage, welcher karnevalistischen Tradition man eigentlich folge, indem man die permanente zweistündige Verspätung aller Flüge nicht gleich in den Flugplan aufnehme,
antwortete ein Steward, dass eine solche Maßnahme sinnlos sei, da alle Crews derartig auf die Verspätungen eingestellt seien, dass man bei offizieller Integration der zwei Stunden in den Flugplan sofort mit zwei weiteren Stunden
Verspätung zu rechnen habe. Dies sei schon deshalb unerlässlich, da die an die Verspätungen gewöhnten Reisenden eine fahrplanmäßig abfliegende Maschine gar nicht erreichen würden.
Es muss aber dennoch nicht in allen Fällen bei lediglich zwei Stunden bleiben, das wäre zu einfach! Wer einmal beobachtet hat, mit welcher Liebe zum Detail die VASP-Mitarbeiter über vier Stunden hinweg und ohne jedes Gerät von
höherem technischen Standard als dem mit wachsender Begeisterung verwendeten Kreuzschlüssel einen einzigen Reifen an einer Boeing 737 wechseln, wird sich hernach an Board so sicher wie auf Abrahams Schleudersitz fühlen.
Umgang mit den Eingeborenen: Brasilianer sind höfliche Menschen. Sie lächeln fast immer und werden einem keinen Wunsch abschlagen ("klar bringe ich Dich morgen sicher von Deinem Hotel durch die Favella zum Flughafen").
Dass sie einem den Wunsch doch nicht erfüllen, wenn sie erst einmal über alle Berge sind und einem dies nicht mehr ins Gesicht sagen müssen, steht auf einem anderen Blatt. A propos ins Gesicht sagen: Der Brasilianer von heute
wird dies vor allem in fließendem Portugiesisch tun. Andere Sprachen zu beherrschen, fällt ihm nicht ein, die kann man eben so schlecht "lernen lassen". Auch in Hotels der Luxusklasse wird einem der Kellner daher nicht wirklich
erklären können, dass sich hinter den vielen verschiedenen Positionen der Speisekarte letztlich doch immer gebratenes Fleisch verbirgt.